London. .

Dem Tode geweiht und vom Krebs gezeichnet, so wurde Abdelbasset Ali Mohammed al-Megrahi vergangenen Sommer vorzeitig aus der Haft entlassen. Der begnadigte Lockerbie-Attentäter sollte in seiner Heimat Libyen sterben dürfen. Am 20. August jährt sich nun seine Freilassung – doch zum Unmut der Briten lebt der angeblich Sterbenskranke noch immer. Ihr Verdacht: Seine Begnadigung diente nur dem Öl-Geschäft.

Maximal drei Monate Lebenszeit hatten führende Krebs-Spezialisten dem 58-Jährigen gegeben. Aufgrund dieser schlechten Prognose wurde Megrahi vergangenes Jahr überraschend von seiner lebenslangen Haftstrafe befreit. US-Präsident Barack Obama und Angehörige der Lockerbie-Opfer hatten die Begnadigung zwar als „unverzeihlichen Fehler“ kritisiert, doch das schottische Regionalparlament berief sich auf „menschliche Beweggründe“.

Der Libyer, der 2001 als Einziger je für die Explosion einer PanAm-Maschine über dem schottischen Lockerbie strafrechtlich belangt wurde, war an Prostatakrebs im fortgeschrittenen Stadium erkrankt.

Fotos im Kreise seiner Lieben

Doch Totgesagte leben länger – das gilt nicht nur in James-Bond-Filmen. Regelmäßig tauchen Fotos von Megrahi in der englischen Presse auf, die ihn im Kreise seiner Lieben zeigen. Krank und pflegebedürftig zwar, aber doch lebendiger als erwartet.

Der führende Krebs-Experte Karol Sikora räumt nun sogar ein, dass der Libyer auch noch „zehn oder 20 Jahre länger leben könnte“: „Die Wahrscheinlichkeit, dass Megrahi innerhalb von drei Monaten sterben würde, lag bei 50 Prozent“.

Dass er, der per Gutachten Megrahis schnelles Ableben prognostizierte, so daneben gelegen hat, ist selbst ihm laut „Times“ mittlerweile „peinlich“. „Der Arzt soll sich bei den Angehörigen der Opfer entschuldigen“, fordert der konservative Abgeordnete Ben Wallace, „hier ist auf Grundlage eines Gutachtens ein Massenmörder freigelassen worden, dem es ganz klar gut geht.“

Hässlicher Verdacht

Auch er spricht den hässlichen Verdacht aus, der im Raum steht: „Hier waren Geschäftsinteressen wichtiger als die Opfer.“

Die Ärzte bestreiten, von Libyen für ihre Prognose bezahlt worden zu sein, doch die alte Labour-Regierung hat nie ein Geheimnis aus ihren Interessen gemacht. „Libyen war ein Schurkenstaat, den wir in die internationale Gemeinschaft zurückholen wollten“, sagte Ex-Justizminister Jack Straw vergangenes Jahr der Presse, „und, ja, das beinhaltet auch Handelsabkommen, denn Handel ist wesentlicher Bestandteil von Integration.“

Megrahis Freilassung aus „menschlichen Erwägungen“ sei für das Königreich ein Türöffner für Öl- und Gasabkommen mit dem nordafrikanischen Land gewesen, mäkeln die Kritiker.

Auch ein Bankräuber lebt noch

Eine weitere Freilassung bestätigt ihren Verdacht: Ronnie Biggs, Großbritanniens legendärer Bankräuber, war zwei Wochen vor Megrahi begnadigt worden, obwohl Justizminister Straw seine Entlassung zuvor kategorisch verweigert hatte. Auch bei Biggs berief man sich auf dessen nahenden Tod. Auch Biggs lebt heute noch.

Im Raum der öffentlichen Debatte steht längst die Frage: Wollte die Regierung mit der Entlassung des extrem beliebten Biggs etwa den Weg ebnen für die Freilassung des unpopulären Häftlings Megrahi?

Ob die Mediziner in dem Fall unter Druck gesetzt wurden oder sie seine Verfassung schlicht unterschätzt haben, bleibt offen. Klar ist nur, dass Libyen seinem Volkshelden zurzeit die beste verfügbare Behandlung angedeihen lässt. Die Familie des 58-Jährigen hat derweil Berichte dementiert, wonach Megrahi dem Tode entronnen sei. Sie rechnen nicht damit, dass der Krebsgeschwächte den Jahrestag seiner Freilassung kommenden Monat erleben wird.

Ungelöste Rätsel

Der unappetitliche Streit um die Frage, warum Abdelbasset Ali Mohammed al-Megrahi trotz Todesprognose immer noch nicht das Zeitliche gesegnet hat, ist eines von vielen ungelösten Rätseln im Lockerbie-Fall. Dass der Libyer die US-Maschine ohne Hilfe zum Absturz gebracht hat, zweifeln selbst Experten an. Trotz des Gerichtsurteils kann bis heute nicht schlüssig dargelegt werden, dass Megrahi überhaupt der Täter ist.

Er selbst hat stets seine Unschuld betont und angekündigt, noch vor seinem Tod ein Buch über die angeblich wahren Hintergründe des Attentats zu schreiben.