Essen. ARD-Programmdirektor Volker Herres glaubt, dass das öffentlich-rechtliche Erste vom aufgefrischten nationalen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest genauso profitiert wie der Privatsender ProSieben. Das sagte Herres im Gespräch mit Jürgen Overkott.
Der achtteilige Vorentscheid “Unser Star für Oslo” startet am Dienstag, 20.15 Uhr, bei ProSieben. Das Erste sendet Halbfinale und Finale. Durch die Sendungen führen Stefan Raab als Chef der Jury sowie sein Adlatus Matthias Opdenhövel und Sabine Heinrich von der WDR-Radiowelle 1Live als Moderatoren. Die ARD arbeitet zum ersten Mal mit einem privaten Sender zusammen, der beim jungen Publikum eine große Reichweite erzielt.
Ich vermute, Sie gehören zur Generation Rock. Waren die Teilnehmer des “Grand Prix” für Sie, um mal Udo Lindenberg zu zitieren, früher “Schlageraffen”?
Voker Herres: Ich habe als Jugendlicher Bands wie Jethro Tull, Deep Purple oder Led Zeppelin gehört, das ist richtig. Und trotzdem habe ich den “Grand Prix” in guter Erinnerung. Klar, das war manchmal arg schlagerhaft, aber es gab auch Chansons, und die habe ich neben der Rockmusik auch immer gern gehört.
Mit „Unser Star für Oslo“ treten Sie direkt gegen “Deutschland sucht den Superstar” an. Darf ich schon mal zum zweiten Platz gratulieren?
Herres: Im Ersten haben wir das Viertelfinale und das Finale des Vorentscheids jeweils am Freitag – also keine direkte Konkurrenz.
Beim nationalen Vorentscheid arbeitet ein öffentlich-rechtlicher Sender erstmalig mit einem vergleichsweise großen privaten Sender zusammen...
Herres: ...wir haben in der Vergangenheit beim “Song Contest” auch schon mit Viva zusammengearbeitet. Klar: Die Kooperation mit ProSieben und mit Stefan Raab ist schon eine Sache, die Aufmerksamkeit erzeugt. Aber dahinter stehen sehr nüchterne Überlegungen. Ich glaube, dass beide Seiten etwas davon haben. Es gelingt uns, mit einem Vorlauf von insgesamt acht Sendungen eine ganz andere Aufmerksamkeit für den “Eurovision Song Contest” herzustellen als früher. Wir haben keine fundamentalistischen Berührungsängste.
Nun hat sich Stefan Raab bei den Verhandlungen sehr bitten lassen. Hat er die ARD nicht doch über den Tisch gezogen?
Herres: Es war ein völlig fairer Umgang miteinander und es gibt ein Happy-End.
Nach dem Weggang von Jörg Pilawa in diesem Frühjahr fehlt der ARD ein programmprägendes Gesicht. Wann wechselt Stefan Raab zum Ersten?
Herres: Wir arbeiten bei „Unser Star für Oslo“ zusammen, das ist es.
Das Erste wollte vor einiger Zeit Günther Jauch locken, das hat bekanntlich nicht geklappt, und jetzt produziert er Shows zum ARD-Jubiläum. Kommt Jauch durch die Hintertür?
Herres: Das ist nichts Ungewöhnliches. Günther Jauch ist nicht nur Moderator, sondern auch Produzent. Er hat schon in der Vergangenheit für uns produziert und wird das auch in Zukunft tun.
Eine andere populäre Fernsehfigur ist Frank Plasberg. Er hat erkennen lassen, dass er neben “Hart, aber fair” mehr Unterhaltung beim Ersten machen möchte. Stößt er bei Ihnen auf offene Ohren?
Herres: Frank Plasberg ist ein toller Journalist, der ein breites Spektrum beherrscht. Informationsorientierte Unterhaltungsformate kann er gut und hat er auch schon sehr erfolgreich gemacht.
Noch mal Pilawa. Wer kommt für ihn?
Herres: Wir werden ihn nicht durch einen Moderator ersetzen, sondern wir werden uns breiter aufstellen. Im Vorabend-Programm haben wir zum Beispiel mit Florian Weber ein neues Gesicht, bei "Verstehen Sie Spaß?" mit Guido Cantz. Frank Plasberg wird nach dem erfolgreichen "Jahresquiz" im 20. Jahr der deutschen Einheit das dreiteilige "Quiz der Deutschen" präsentieren, Eckart von Hirschhausen unter anderem "Frag doch mal die Maus". Im Vorentscheid zum "Eurovision Song Contest" ist Sabine Heinrich zu sehen. Wir haben Florian Silbereisen, Sven Lorig, Ranga Yogeshwar und viele mehr. Es wird also ziemlich bunt zugehen.
Danke für das Stichwort Vorabend: Der lahmt.
Herres: Es gibt noch nicht den ganz großen Durchbruch. Immerhin: Florian Weber ist es gelungen, die Marktanteile im Vergleich zu der Serie “Eine für alle” zu verdoppeln. Aber am Vorabend ist noch Aufräumarbeit zu leisten.
Nehmen die Arbeiten schon Konturen an?
Herres: Schon, aber nicht so, dass ich sie öffentlich diskutieren möchte.
Zum Jubiläum haben sich ausgerechnet die Gebühren-Rechner der KEF zu Wort gemeldet und so hässliche Dinge wie Sparen und Stellenabbau angesprochen. Gibt es demnächst mehr Wiederholungen im Ersten?
Herres: Die Dinge sind komplizierter. Wir haben einen sehr hohen Erstsen-deanteil. Das Erste bleibt das Premieren-Programm. Natürlich werden wir im Programm alle wirtschaftlichen Potenziale ausschöpfen. Aber es ist kreativ zu kurz gesprungen, wenn wir auf mehr Wiederholungen setzten.
Wo sehen Sie Einsparmöglichkeiten?
Herres: Als Programmdirektor wünsche ich mir Einsparungen zuletzt beim Programm. Aber wir werden bei der ARD alles auf den Prüfstand stellen und da ist das Programm natürlich auch kein Tabubereich. Wir werden überlegen, wo wir noch wirtschaftlicher produzieren können, etwa durch Staffelproduktionen bei Filmen oder Shows. Das senkt die Minutenpreise.
Stichwort Sparen. Teile des Publikums waren der Ansicht, sie könnten sich Dieter Wedels “Gier” sparen. Warum hat der Zweiteiler nicht funktioniert?
Herres: Das will ich so nicht sagen. Sind Sie der Ansicht, dass 5,7 Millionen Zuschauer beim ersten Teil ein Beleg dafür sind, dass sich das Publikum nicht für den Film interessiert?
Zugestanden, aber deutlich billigere Produktionen haben an den beiden Sendeterminen dasselbe oder sogar noch ein besseres Ergebnis gebracht. Standen bei Wedel Aufwand und Quote in einem angemessenen Ver-hältnis?
Herres: Wir scheren unser Programm nicht über einen Leisten und sagen, Hauptsache, der Minutenpreis stimmt. Wir haben einen ausgewogenen Mix aus seriellen Produktionen und aufwändigen Events wie zum Beispiel Henning Mankells „Kennedys Hirn“, und dabei wollen wir auch bleiben.
Ich hätte Ihnen beinahe recht gegeben. Aber Wedel war von der Degeto - und damit ausdrückliche Unterhaltungsware. Werden Sie die Zusammenarbeit mit ihm fortsetzen?
Herres: Die Degeto produziert nicht nur Unterhaltung. Mit Wedel gibt es derzeit keine neuen Projekte.
Der NDR hat für die Musterfamilie Westermann als Maßstab für seinen Zuschauererfolg ausgegeben. Wird das Modell stilprägend für die ARD?
Herres: Schwierig, denn Das Erste ist ein Vollprogramm, das alle Zuschauer anspricht. Die Idee, dass sich die Programmacher ein konkretes Bild von ihrem Publikum machen, ist aber nicht schlecht.
Die Westermanns stehen für die 50- bis 59-Jährigen. Müssen die Jungen bei den Öffentlich-Rechtlichen in die digitalen Nischen?
Herres: Nein, wir haben doch junges Publikum. Das geht statistisch verloren, weil der Altersdurchschnitt die Zahl der Jungen verdeckt. Wir haben sie in großer Zahl beim Sport, beim Fiktionalen und auch bei der “Tagesschau”. Aber es stimmt schon, die Zuschauer des Ersten haben einen Altersdurchschnitt von rund 60 Jahren. Bei der heutigen Lebenserwartung muss man allerdings sagen: Das ist ein jugendliches Alter. Und damit zurück zu “Unser Star für Oslo”: Warum machen wir das mit Raab? Weil wir wissen, dass wir damit nicht nur die jungen, sondern auch die ganz jungen Zuschauer erreichen. Und deshalb haben wir auch den “Echo” zurückgeholt.