Essen. Die Sängerin Joni Mitchell wurde Ende der 60er-Jahre zur Ikone der Folk- und Hippie-Bewegung. Arte spürt ihr in einer sehenswerten Doku nach.

„By the time we got to Woodstock, we were half a million strong“ – „Als wir in Woodstock ankamen, waren wir schon eine halbe Million.“ Lauter Sternenstaubkinder, die sich im August 1969 gemeinsam auf den Weg zurück in den Garten Eden machen wollten. Drei Tage im Zeichen von Liebe, Frieden und Musik. In keinem anderen Song sind die Herzensthemen des legendären Festivals so stark eingefangen wie in der gleichnamigen Ode, die in der Fassung von „Matthews’ Southern Comfort“ bis heute nachklingt. Die wunderbare Dokumentation „Joni Mitchell – Hippie Folk Goddess“, Freitag, 26. August um 21.45 Uhr auf Arte bringt in Erinnerung, was man leicht vergisst, wenn man es denn je wusste: Das „wir“ drückt nur tiefste Verbundenheit aus. Tatsächlich entstand der Song aus dem Bedauern heraus, nicht selbst dabei gewesen zu sein. Den Welthit „Woodstock“ schrieb die kanadische Liedermacherin, die am zweiten Festivaltag ihren ersten Auftritt in der Dick Cavett Show, der damals wichtigsten TV-Show Amerikas, haben sollte und deshalb auch auf Anraten von Freunden wie David Crosby und Graham Nash in New York geblieben war.

Keine Kindheitsgeschichten – der Film kommt gleich zur Sache

Der Film kommt ohne viel Federlesens zur Sache. Keine Kindheitsgeschichten, keine psychologisch ausgedeuteten Jugenderfahrungen, keine Familien- oder Schuldramen. 1967, heißt es lakonisch, geht Joni Mitchell (da war sie 24) von Kanada in die USA, um in New York ihr Glück zu versuchen. Sie hat genug von ihren Jobs in Saskatoon, wo sie mit der Ukulele Lieder von Judy Collins gecovert hat, und verlässt alles: die Eltern und ihren Mann, von dem sie nur ihren Namen behält. Punkt. Mehr kann, wer will, gern in Wikipedia nachlesen.

Im Film geht es allein um die Antriebskräfte, die den Freigeist Joni Mitchell in den 70ern zu einer der bedeutendsten, bis heute nachwirkenden Singer-Songwriterinnen werden ließen. Ihre Texte, die private Gefühle, Träume und Empfindungen ausdrücken, waren völlig neu in der populären Musik. Wer wäre schon auf die absurde Idee gekommen, Gedanken beim Betrachten von Wolken poetisch zu verarbeiten, wie sie es in „Both Sides Now“ tat, ihrem ersten, für die Folk-Queen Judy Collins geschriebenen Welthit, der seither über 3000-mal gecovert wurde? Sie schreibe, sagt sie in einem Interview, nur über Liebe und Dinge, die sie verstehe. Ihre Songs und ihr strahlend heller Sopran beeindruckten David Crosby, mit dem sie nach Laurel Canyon in Kalifornien ging, wo sie Eric Clapton mit ihrem Gitarrenspiel (50 offene Stimmungen) in ungläubiges Staunen versetzte.

Joni Mitchells Umwelthymne „Big Yellow Txi“ war leider visionär

Wie ein Seismograph reagierte sie auf Veränderungen. Für ihre heute geradezu visionär anmutende Umwelt-Hymne „Big Yellow Taxi“ von 1970 („Wir haben das Paradies gepflastert und einen Parkplatz darauf gebaut“) hat sie eine einfache Erklärung: „Ich leide an der Dummheit, mit der wir mit diesem Planeten umgehen“, sagt sie. Und: „Nicht ich bin pessimistischer, die Zeiten sind schwieriger geworden, ich bin nur eine Zeugin.“ Und ihre Lieder sind die Tattoos, die das Leben hinterlassen hat.

Bewertung: vier von fünf Sternen