Essen. Die Filmbiografie „Lindenberg! Mach dein Ding“ zeichnet den Lebensweg des Rockmusikers bis zu seinem Durchbruch in den 70er-Jahren nach.

1963 torkelt Udo Lindenberg, die Schnapspulle in der Hand, durch die Sahara und purzelt eine Düne runter. Der 17-Jährige hat sich als Schlagzeuger bei einer US-Band verdingt, die Truppenbetreuung in Libyen betreibt, und ist unglücklich. Hochprozentiges begleitet ihn auch, als er beim ersten großen Auftritt seines Panikorchesters 1973 in Hamburg den Weg die kleine Showtreppe hinunter abkürzt. Noch am Boden liegend, etwas mitgenommen, stimmt Udo (Jan Bülow) unter dem Jubel des Saalpublikums „Andrea Doria“ an. Jetzt ist er glücklich, er hat sein Ziel endlich erreicht.

Hermine Huntgeburths Spielfilm „Lindenberg! Mach dein Ding“ von 2020, den die ARD im Rahmen ihrer Reihe „SommerKino“ zeigt (Montag, 18. Juli 2022, 20.15 Uhr), beginnt und endet mit einem Sturz. Doch in beiden Fällen ist die Fallhöhe gering. Verzweiflung, große Probleme, echte Tiefschläge des Lebens, wirkliche Abstürze oder Exzesse gar (so ein harmloses LSD-Plättchen geht runter wie ein Likörchen): All das findet so gut wie nicht statt. Oder wird glattgebügelt. Der Kinofilm, der den Lebensweg Udo Lindenbergs von den Kindertagen in Gronau bis zu seinem fulminanten Durchbruch als Sänger und Deutsch-Rocker in den 70ern verfolgt und dabei Lebensumstände und Zeitgeist dieser Jahre in tatsächlich bestechend milieu-getreuen Bildern heraufbeschwört, wirkt über weite Strecken wie eine hochglanzpolierte Hommage im Vorgriff auf den 75. (2021) Geburtstag. Ein prominent besetzter (u.a. Julia Jentsch, Martin Brambach, Detlev Buck) Film, von Fans (Regisseurin, Autorenteam) für Fans gemacht.

„Lindenberg! Mach dein Ding“ mit einem Gastauftritt des echten Udo

Dazu passt – was für eine reflektierende Filmbiografie zumindest ungewöhnlich ist – ein Gastauftritt des echten Udo. Von Jean-Jacques Kravetz am Piano begleitet, singt Lindenberg knapp fünf Jahrzehnte später gleichsam die Quintessenz des zuvor nachgezeichneten Selbstfindungsprozesses: „Ich habe niemals daran gezweifelt…“

Der hanseatisch näselnden Originalstimme begegnet man sonst so gut wie nie. Jan Bülow als charmante Schnodderschnauze, hinter der sich eine bemerkenswerte Empfindsamkeit und Verletzlichkeit verbirgt, findet zwar fast unmerklich zu dem längst unverwechselbaren Gesten- und Bewegungskanon, doch er versucht sich erst gar nicht als x-ter Lindenberg-Imitator. Und in den wenigen Momenten, in denen er singt, ob im ungeliebten Englisch oder auf Deutsch, hört man Bülows eigene, unverfälschte Stimme. Wenn er sich Ideen-Notizen macht für mögliche Lieder, mit denen er die deutsche Sprache gegen alle Widerstände in der Rockmusik etablieren will, etwa bei den Kiez-Erlebnissen mit der Prostituierten Paula (Ruby O. Fee) oder nach der enttäuschten Liebe zu der jungen Ost-Berlinerin Petra (Saskia Rosendahl), dann ahnt man die großen, noch kommenden Songs. Man hört sie nicht. Stattdessen erklingen damalige Hammerhits der Kinks, von Shocking Blue, Marc Bolans T-Rex oder Black Sabbath, und dann fühlt sich auch der Nicht-Lindenberg-Apologet in diese wilde Zeit des Auf- und Umbruchs zurückversetzt.
Wertung: drei und fünf Sternen