Berlin. Martina Gedeck ist in zwei Fernsehfilmen zu sehen. Ein Gespräch über den Druck „funktionieren“ zu müssen und die Bedeutung von Kultur.

Auch Martina Gedeck ist wegen Corona in der Auszeit. Eigentlich sollte die Schauspielerin derzeit mit John Malkovich drehen. Und in Hamburg auf der Bühne spielen – alles auf unbestimmte Zeit verschoben. Dafür ist sie jetzt im Fernsehen präsent.

Ihre Komödie „Und wer nimmt den Hund?“ mit Ulrich Tukur, ein Kinoerfolg aus dem Vorjahr, eröffnet am 29. Juni das ARD-Sommerkino. Und am 17. Juni ist sie in der Tragikomödie „Herzjagen“ zu sehen – das sich auch als Allegorie auf die Corona-Krise sehen lässt. Wir haben die 54-Jährige dazu gesprochen.

Wie geht es Ihnen, sind Sie gut durch die Corona-Krise gekommen?

Martina Gedeck: Danke, ich bin bislang gut durchgekommen. Ich bin gesund, meine Angehörige und Freunde auch. Darüber bin ich sehr froh. Arbeitstechnisch sieht es natürlich anders aus.

Als nächstes sind Sie immerhin im Fernsehen zu erleben. Mit „Herzjagen“: ein großartiges Drama, das allerdings viel im Krankenhaus spielt. Kommt das gerade jetzt, wo alle über Corona und Krankenhausbelegungen sprechen, vielleicht ein wenig zur Unzeit?

Gedeck: Ich glaube, es kommt genau zur richtigen Zeit. Weil derzeit doch alle sehr damit beschäftigt sind, was es heißt, wenn das Leben sich radikal verändert. „Herzjagen“ handelt von jemandem, der aufgrund einer völlig veränderten Lebenssituation mit seiner Umwelt nicht mehr zurechtkommt. Im Film ist meine Figur vorher versehrt, weil sie wegen einer chronischen Herzkrankheit immer nur reduziert leben durfte. Nach einer Operation ist sie schlagartig gesund und kommt damit nicht zurecht.

Was die Umwelt erst mal nicht versteht, auch wenn dieses Krankheitsbild durchaus existiert: Viele leiden nach einer so schweren Herz-OP unter postoperativen Erscheinungen und Panikattacken. Das Herz wurde ja stillgelegt, um operieren zu können. Der Mensch wird in der Zeit an Maschinen angeschlossen. Im Grunde ist das ein Lockdown des Herzens, wenn man so will. Das Schwierige ist das Hochfahren danach, die Ungeduld, dass alles wieder so wird wie zuvor, und die Erkenntnis, dass es nie wieder so sein wird. Das ist natürlich die umgekehrte Situation bei Corona. Aber ich sehe doch viele Parallelen.

Entschuldigen Sie, wenn diese Frage zu persönlich sein sollte. Aber Ihre Figur leidet an einer Herzkrankheit und denkt über Suizid nach. War das nicht auch die Geschichte Ihres früheren Lebenspartners Ulrich Wildgruber? Mussten Sie beim Spielen auch daran denken?

Gedeck: Kann schon sein, dass das mitgeschwungen ist. Aber die Krankheit von Ulrich war eine andere. Er hat ja nicht reduziert gelebt, im Gegenteil, trotz seiner Herzinsuffizienz hat er sich sehr verausgabt. Aber beim Spielen denke ich auch so immer wieder an ihn. Und wenn, dann an seine große spielerische Kraft, die so immens und auch bis zum Schluss da war. Das ist für mich immer eine große Quelle. Die dunkle Seite habe ich gar nicht so sehr wahrgenommen, eher das spielerische, kraftvolle Vermögen, seine innere Freiheit, das war immer das Eindrücklichste für mich.

Einer der letzten großen Auftritte: Martina Gedeck bei der Berlinale im Februar 2020 in Berlin.
Einer der letzten großen Auftritte: Martina Gedeck bei der Berlinale im Februar 2020 in Berlin. © WireImage | Matthias Nareyek

Sie gehen in Ihren Filmen oft an Grenzen. Suchen Sie solche Herausforderungen eigentlich, oder suchen die Herausforderungen Sie?

Gedeck: Tatsächlich kommt das immer auf mich zu. Die Filmemacher scheinen da eine Fantasie zu entwickeln, von der sie glauben, dass sie auf mich zutrifft. „Herzjagen“ war ein Projekt, das sehr lang gedauert hat und auch immer wieder verschoben wurde. Es ist bestimmt drei, vier Jahre her, dass ich mit der Regisseurin Elisabeth Scharang erstmals darüber gesprochen habe. Es ist nicht so, dass ich dazwischen nicht auch anderes gedreht habe, Leichteres wie „Arthurs Gesetz“ oder die Miniserie „Oktoberfest“, die im Oktober kommen wird. Aber zugegeben, ich wurde da auch zu Castings gebeten, mit dem Hinweis, dass das ja nicht unbedingt mein Fach sei. Da ist man manchmal sogar überrascht, dass ich Lust habe, so etwas zu spielen.

Im Film geht es anfangs um die Ohnmacht, nicht mehr Herr über sich selbst, den eigenen Körper zu sein. Nach der Operation geht es aber plötzlich auch um die Sehnsucht, nicht mehr „funktionieren“ zu müssen. Ist letzteres etwas, was Sie auch manchmal verspüren?

Gedeck: (überlegt lange) Darauf fällt mir eine Antwort gerade sehr schwer. Ich brauche schon meine Aus- und Ruhezeiten. Die sind ganz wichtig. Es gibt Zeiten, wo zu viel los ist, wo ich auch oft an verschiedene Orte reisen muss. Da kommt man irgendwann an einen Punkt, wo der Organismus sagt: Jetzt ist aber gut. Ich wünschte mir auch, manche Dinge freier entwickeln zu können, ohne feste Abgabetermine. Aber durch diese Corona-Auszeit wird einem auch wieder sehr bewusst, wie wichtig einem die Arbeit ist. Und dass man doch gern wieder „funktionieren“ würde.

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Sie haben zuletzt viele Serien gedreht, wie „Thannbach“, „Arthurs Gesetz“ oder eben „Oktoberfest“. Schauen Sie selbst Serien? Haben Sie sich die Corona-Auszeit mit Bingewatching vertrieben?

Gedeck: Nein, gar nicht. Ich habe das, als der Serien-Hype vor ein paar Jahren begann, mit „Mad Men“ versucht. Da war ich ein paar Folgen lang sehr begeistert, aber dann hatte ich nicht die Muße dafür. Ich kann nicht so lange vor dem Fernseher sitzen. Ich mag das Format 90 Minuten doch sehr gern. Ich mag auch gern, wenn eine Geschichte einen Schluss hat.

Und nicht nur den Cliffhanger zur nächsten Folge, zur nächsten Staffel. Ich gucke lieber mal alte Serien, wenn die im Fernsehen wiederholt werden. Da freut man sich, weil man die noch von früher kennt. Da sind die Folgen aber auch in sich abgeschlossen, man muss nicht jede gesehen haben. Serien am Stück gucken, das kann ich ja mal nachholen, wenn ich eines Tags wirklich nicht mehr arbeiten sollte.

Und da wir schon vom Oktoberfest gesprochen haben: Sind Sie eigentlich ein Fan solcher Großveranstaltungen? Vermissen Sie die in Corona-Zeiten?

Gedeck: Ich verstehe es, dass man dieses Jahr Großveranstaltungen wie das Oktoberfest absagt. Da kommen ja nicht nur große Massen, sondern auch viele Menschen aus anderen Ländern zusammen. Was ich viel stärker vermisse, sind Theater- oder Konzertabende, wie ich sie in diesem Sommer hätte geben sollen. Ich vermisse die Begegnung mit Menschen, wenn man live vor Publikum spielt oder spricht. Ich finde das auch sehr schade, dass das nicht stattfindet.

Es ist mir absolut unbegreiflich, wieso man nun in Flugzeugen oder Flix-Bussen eng gedrängt sitzen darf, aber ein solches Theater gemacht wird um Freiluftveranstaltungen im Sommer. Opern, Konzerthäuser und Theater stehen monatelang leer – das kann ich nicht nachvollziehen. Das kann man mit Hygienekonzepten auch genauso hinkriegen wie beim Einkauf in den Geschäften. Natürlich kann man auf Kultur verzichten. Aber sie gibt etwas Wesentliches: Trost, Hoffnung, Freude. Vielleicht nicht systemrelevant, aber lebensrelevant. Ich hoffe, dass sich diesbezüglich in den nächsten Wochen einiges tut.