Berlin. Wie leben Kinder in der rechtsextremen Szene? Die Arte-Doku „Kleine Germanen“ versucht sich an dem Thema – und scheitert fürchterlich.
Die Welt, in der wir leben, ist geprägt durch das, was wir glauben. Erziehung spielt eine wesentliche Rolle dabei, ebenso das Umfeld, in dem wir uns bewegen. Wer in strengen, ideologisch festen Familien aufwächst, hat es schwer, später seine Ansichten und somit sein Leben zu ändern.
Das gilt für alle, umso mehr aber für Kinder, die aus einem (rechts)extremen Umfeld kommen: Auszusteigen bedeutet für sie, den vollständigen Bruch mit Familie und alten Freunden in Kauf zu nehmen. Das kann mörderisch enden.
Arte-Doku „Kleine Germanen“ – eigentlich ein wichtiges Thema
Medial bisher wenig beachtet, ist das Thema von „Kleine Germanen“ also allemal eine Dokumentation wert. Das Ergebnis ist es leider nicht: Am Ende des langen Films, den Arte heute um 20.15 Uhr im Rahmen seines Programmschwerpunkts „Menschenskinder!“ zeigt, bleibt ein schaler Nachgeschmack, wenn nicht massive Verärgerung darüber, wie unreflektiert und ungefiltert rechtspopulistischen Ideologien 84 Minuten lang in einem Kultursender die große Bühne bereitet wird.
Mit Wohlwollen kann man der Doku bestenfalls attestieren, dass der deutsche Regisseur iranischer Abstammung, Mohammad Farokhmanesh, versucht, das Thema aus möglichst vielen Perspektiven zu beleuchten. Er übernimmt sich jedoch, weil er sich nicht traut, die Positionen zu gewichten, eine Haltung zu ihnen einzunehmen. Negativ fällt also weniger auf, was erzählt wird, als viel mehr, wie es erzählt wird.
In erster Linie ein Animationsfilm über die kleine Elsa
„Kleine Germanen. Eine Kindheit in der rechten Szene“ ist dabei in erster Linie ein Animationsfilm, der – anhand der Geschichte der kleinen Elsa – den idealtypischen Werdegang eines Kindes aus der rechten Szene erzählt. In dramatischen Episoden und sentimentalen Zeichnungen erfahren wir, wie Elsa Mitte der 1970er-Jahre von ihrem geliebten Opa betreut wird.
Zusammen mit ihm spielt sie Krieg, ruft mit ausgestrecktem Arm „Für Führer, Volk und Vaterland!“ und lernt „Mein Kampf“ auswendig. So wird sie früh nationalsozialistisch sozialisiert und rutscht auch als Teenager immer weiter in die rechte Szene.
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Doku-Elemente zusammenhanglos dazwischen geschnitten
Elsa heiratet jung einen Neonazi, der gerne Ausländer verprügelt und Asylbewerberheime anzündet. Sie bekommt erst eine Tochter, die sie ganz im völkischen Sinne zur Kruppstahl-Härte erzieht, dann einen Sohn mit Downsyndrom, der allein durch seine Behinderung die rechte Sippe dauerprovoziert. Aber es dauert noch Jahre und ungezählte Demütigungen, bis Elsa die Kraft findet, mit ihren Kindern wegzugehen.
Schon dieser Teil des Films, der viele ultrarechte Klischees naiv übernimmt, als wären es unwidersprochene Fakten, ist in seiner epischen Breite schwer zu ertragen. Willkürlich und zusammenhanglos dazwischen geschnitten sind aber noch mehrere dokumentarische Elemente, von denen man sich fragt, zu welchem Zweck sie eigentlich eingesetzt werden.
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Blonde und blauäugige Kinder in Zeitlupe – was soll das?
Reale Zeitlupenaufnahmen von fröhlich spielenden Kindern – allesamt blond und blauäugig –, die vollkommen von den Aussagen der Extremismus-Forscher und Exit-Berater ablenken, die zur gleichen Zeit aus dem Off sprechen.
Den (gefühlt) größten Raum nehmen dann aber Interviews mit Vertretern der Neuen Rechten ein, die sich in ihrem Zuhause als Gutmenschen präsentieren: Freundlich und lachend plaudern sie von ihrem Leben, welche Werte sie schätzen und bei der Erziehung berücksichtigen. Wer mag da glauben, dass genau diese Leute sich bei öffentlichen Pegida-Auftritten freizügig als Volksverhetzer, Spalter und Antidemokraten outen?