Köln. . Seit Jahren kämpfen sich die Eltern des ermordeten Mirco zurück in die Normalität. Jetzt ist das Verbrechen an ihrem Sohn verfilmt worden
Sandra Schlitter ahnt schon, was passieren wird, wenn Ende Oktober der Film wieder ins Fernsehen kommt. Dann werden die Leute sie wieder angucken, werden fragen: „Warum tust du dir das an?“ Die 42-Jährige lächelt. Als ob ein Film ihr etwas antun könnte, was das Leben ihr und ihrem Mann Reinhard (50) nicht schon längst angetan hat. Ihren Sohn Mirco hat es dem Ehepaar aus der Nähe von Grefrath 2010 genommen, hat ihn verschwinden lassen, von einem Tag zum anderen, und sie erst nach Monaten erfahren lassen, dass ihr Junge ermordet worden ist. Unter dem Titel „Ein Kind wird gesucht“ hat das ZDF den Fall verfilmt – mit Einverständnis der Eltern.
Sandra und Reinhard Schlitter sind nach Köln gekommen. Wo der Sender den Film vorstellt. Die Schlitters aber haben ihn schon gesehen. Er ist ungefähr so geworden, wie sie ihn sich vorgestellt haben, im Großen und Ganzen sei alles „nah’ an der Realität“. „Wir können gut damit leben“, sagt Sandra. Dabei haben sie anfangs lange überlegt, ob sie den Film unterstützen, der mit echten Namen und Örtlichkeiten arbeitet. Nur den Täter haben sie umbenannt.
Die eigene Art der Krisenbewältigung
„Es war ja nicht die erste Anfrage“, sagt Mircos Mutter. Bei dieser aber war Ingo Thiel als Berater mit von der Partie. Ingo Thiel, Leiter der Soko Mirco und einer der bekanntesten und erfolgreichsten Fahnder des Landes. Der Mann, der ihnen zum Entsetzen seiner Kollegen sein Wort gegeben hatte, Mirco zu finden und den Täter zu fassen. „Ohne euch geht es nicht“, hat er gesagt, und die Schlitters haben sich mit Mircos drei Geschwistern beraten, ein Junge (21) und zwei Mädchen, 20 und 17 Jahre alt. Dann haben sie zugestimmt. Wohl auch, weil sie zeigen wollen, wie man so eine Extremsituation überstehen kann. „Wir sind ja nicht die einzige Familie, die ein Kind verloren hat.“
Schlitters wissen, dass ihnen nicht jeder folgen kann bei ihrer Art der Krisenbewältigung. Die Eltern sind Mitglieder der Freikirchlichen Pfingstgemeinde, sie pflegen eine tiefe, für Außenstehende manchmal verstörende Gläubigkeit. Sie gehen damit nicht hausieren, wollen niemanden bekehren, aber sie haben schon vor Jahren ein Buch darüber geschrieben. Und wenn man sie fragt, dann sagen sie bis heute, dass sie Mircos Verlust nur mit „Gottes Hilfe“ verwinden konnten. Und dass ihr Glaube ihnen die Kraft gegeben habe, den Mörder nicht zu hassen, ihm zu verzeihen. „Wer sein Leben lang hasst“, sagt Mircos Vater, „der kann daran kaputt gehen.“ Zumindest das ist ihnen erspart geblieben. „Auch weil wir uns von Anfang an nie gegenseitig die Schuld an Mircos Schicksal gegeben haben“, glaubt Reinhard. „Wir konnten nichts daran ändern.“
„Wir wollten aus Mircos Zimmer kein Mausoleum machen“
Natürlich haben sie gehofft. „Bis zur letzten Minute“, sagt Reinhard Schlitter. Bis zu dem Augenblick, als Ingo Thiel ihnen die traurige Nachricht bringt, man habe die Leiche des Jungen gefunden, will das Herz nicht glauben, was dem Verstand schon lange klar ist. „Aber es war nicht so, dass es uns den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Nach so langer Zeit musste man ja damit rechnen.“
Seitdem müssen sie lernen, mit dem Verlust zu leben. Sie lernen es bis heute. „Mama, dürfen wir wieder lachen?“, hat Mircos Schwester gefragt. „Aber sicher“, haben ihre Eltern geantwortet. „Wir leben doch noch.“ Und dann haben sie gemeinsam gelacht. Und am nächsten Tag wieder geweint. Und irgendwann wurde das Weinen weniger. „Markante Tage, wie der Tag des Verschwindens von Mirco oder sein Geburtstag, sie werden langsam wieder zu normalen Tagen“, sagt Sandra Schlitter. Und in Mircos Zimmer ist längst wieder das Leben zurückgekehrt. Erst ist eine seiner Schwestern dort eingezogen, mittlerweile hat es sein Bruder übernommen. „Wir wollten kein Mausoleum daraus machen“, sagt der Vater.
So weit ist die Familie wieder in die Normalität zurückgekehrt, dass sie die Ausstrahlung des Films, im dem die Eltern von Johann von Bülow und Silke Bodenbender gespielt werden, nicht fürchten. Hat die Zeit die Wunden geheilt? „Nein“, sagt Reinhard Schlitter, „aber sie hat sie erträglich gemacht.“ Nur vergessen lässt sie einen nicht. „Mirco fehlt“, sagt sein Vater. „Und das wird sich auch nicht ändern.“