„Geschwächt wie nie“ – Kanzlerinnendämmerung bei Anne Will
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Berlin. Wahlergebnis, Jamaika, schwierige Groko-Verhandlungen: Wie geschwächt ist die Kanzlerin? Diese Frage stellte Anne Will ihren Gästen.
Vor der Bundestagswahl sah es so aus, als sei Angela Merkel politisch unbesiegbar. Die nächste Kanzlerschaft und ein krönender, weil selbstgewählter Abschied schienen sicher. Seit dem 24. September hat sich dieses Bild drastisch verändert. Das schlechte Wahlergebnis, das Jamaika-Aus, die schwierigen Verhandlungen mit der SPD: Die einst so unerschütterliche Kanzlerin ist dieser Tage merklich angeschlagen.
Dieser neuen Schwäche nahm sich am Sonntagabend auch Anne Will an. „Mächtig ohnmächtig – wie geschwächt ist Angela Merkel?“, fragte die Gastgeberin in die Runde. Die Antworten fielen sehr unterschiedlich aus.
Die Merkel-Kritiker
Als größter Kritiker der Kanzlerin erwies sich ein Namensvetter. „Merkel ist geschwächt wie nie“, sagte der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel. Erstens habe die Kanzlerin keinen Rückhalt mehr im Parlament, was vor allem an der Krise der CSU liege. Zweitens habe es Merkel bis heute nicht fertig gebracht, ihre Kanzlerschaft mit einer großen Überschrift zu überschreiben.
Als einen weiteren Beleg für die schwindende Autorität der Kanzlerin führte der Politikwissenschaftler Merkel die
an. „Das zeigt, dass Merkels Macht erodiert ist“, sagte er mit Blick auf Schmidts Abstimmungsverhalten beim Thema Glyphosat. Diese Erosion lasse sich auch durch eine neue große Koalition nicht zurückdrehen.
Ähnlich äußerte sich Carsten Schneider von der SPD. „Ich unterschätze sie nicht, ich schätze sie als Person, aber ihre Macht erodiert“, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der Sozialdemokraten. Derzeit sei unklar, ob sich Merkel als Parteichefin werde halten können – und mit wem die SPD am Ende möglicherweise verhandeln werde.
Die Merkel-Verteidigerinnen
Für die Kanzlerin stritt dagegen Viviane Reding. „Ich glaube nicht, dass Merkel geschwächt ist – außer vielleicht in den Medien und im Gespräch zwischen den Abgeordneten“, sagte die frühere EU-Kommissarin. Auch sei es nicht ungewöhnlich, dass die Koalitionsbildung dauere. Merkel sei bisher der Stabilitätsanker in der EU gewesen, daher gelte: „Reißt euch mal zusammen, Europa braucht ein starkes Deutschland.“
Unterstützung bekam Merkel naturgemäß auch von Ursula von der Leyen. „Angela Merkel hat Deutschland als den kranken Mann Europas übernommen, jetzt ist es die wirtschaftliche Lokomotive“, sagte die CDU-Verteidigungsministerin. Das sei ihre Überschrift für die Kanzlerschaft.
Die beste Analyse
Kam von Bernd Ulrich, dem Politik-Chef der „Zeit“. Plausibel zeigte er auf, warum auch die Verhandlungen zu einer großen Koalition schwierig werden könnten. „Die SPD hat in der vergangenen Legislaturperiode viel durchgekriegt, bei der Wahl aber dennoch verloren“, sagte Ulrich. „Deshalb wird sie versuchen, in den Verhandlungen große Trophäen zu holen.“
Auf der anderen Seite stehe aber eine Kanzlerin, die nicht viele Zugeständnisse machen könne, sagte Ulrich. „Die Union hadert noch mit dem Linkskurs der Kanzlerin.“ Hinzu komme, dass die AfD von rechts attackiere, was den Verhandlungsspielraum weiter einenge. „Ich halte die Aussichten für eine große Koalition für nicht so rosig“, schloss Ulrich daher.
Der Vorschlag des Abends
Kam von Politikwissenschaftler Merkel: „Die SPD sollte die innovative Bedingung stellen, nach zwei Jahren im Kanzleramt zu rotieren.“ Ob das der dieser Tage so vielbeschworenen Stabilität zuträglich wäre? „Dann werden die Koalitionsverhandlungen künftig ewig dauern, weil jede Partei mal ins Kanzleramt will“, warnte Ulrich.
Das Fazit
Wie geschwächt ist die Kanzlerin? Eine eindeutige Antwort konnte natürlich auch diese Ausgabe von Anne Will nicht liefern. Dafür wurde deutlich, wie unterschiedlich man die Situation interpretieren kann. Und wie wichtig es wäre, dass bald wieder klare Regierungsverhältnisse herrschen.
In letzterer Hinsicht kommt es jetzt erst einmal auf die Sozialdemokraten an, die ihre Basis über das weitere Vorgehen abstimmen lassen wollen. SPD-Politiker Schneider gab sich da unabhängig vom Ausgang des Votums ganz zuversichtlich: „Die Mitglieder der SPD entscheiden fast immer vernünftig. Und das werden sie dieses Mal auch wieder tun.“
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