Berlin. Am Sonntag steigt das TV-Duell Merkel gegen Schulz. Damit beginnt eine nie erlebte Politikwelle im Fernsehen. Droht uns der Overkill?
Wenn es nur das Duell Merkel-Schulz wäre! Aber da gibt es den „Dreikampf“ und den „Fünfkampf“ der Parteien, die „Wahlarena“, den „Politiker-Check“ und die „Klartext“-Runden. Dazu die üblichen Talkrunden wie in der ARD bei „Anne Will“ und „Hart aber fair“; im ZDF geht Maybrit Illner gleich vier Mal in einer Woche mit „Intensiv“-folgen auf Sendung. Kein Tag ohne-Polit-Talk.
Drei Wochen vor der Bundestagswahl am 24. September starten die großen TV-Sender eine Serie von Programm-Formaten, wie sie in dieser Ballung noch bei keiner Bundestagswahl zu sehen war. Allen voran ARD und ZDF, aber auch RTL mischt kräftig mit und selbst ProSieben schickt den bislang wenig durch politische Berichterstattung aufgefallenen Moderator Klaas Heufer-Umlauf („Circus HalliGalli“) ins Rennen. Sein Motto: „Ein Mann, eine Wahl“. Man fragt sich unwillkürlich: Wer will – und wer kann – das alles noch sehen? Droht uns da nicht der Wahlkampf-Overkill im TV?
„Der Miniaturwahlkampf ist spannend“
„Das ist es vielleicht für manche Gruppe in der Gesellschaft, Politikwissenschaftler und Politjournalisten etwa“, sagt Thorsten Faas, Politologe und Wahlforscher an der Uni Mainz. Er sagt: „Für viele Menschen ist dieser Miniaturwahlkampf eine sehr spannende, informative Möglichkeit, etwas über die Kandidaten und ihre Positionen zu erfahren.“
Die Plakate der Parteien im Bundestag
Ganz anders sieht dies Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), der zur Wahl am 24. September nicht mehr kandidiert. Lammert hatte schon vor Jahren vor einer „anschwellenden Flut“ von Politik-Talkshows im Fernsehen gewarnt. „Sie simulieren nur politische Debatten“, so Lammert 2011 im „Spiegel“-Interview. „In Wahrheit benutzen sie Politik zu Unterhaltungszwecken.“ Lammert kritisierte mehrfach, dass die politischen Debatten oft nicht mehr im Parlament, sondern in den TV-Studios stattfinden.
„Die Politik nutzt das Fernsehen“
Politologe Faas sieht das anders. „Fernsehen ist ein reichweitenstarkes Medium – das ist aber per se nichts Schlechtes“, hält er dagegen. Letztlich sei diese Diskussion auch müßig. Faas: „Politik nutzt die neuen wie alten Medien, die verfügbar sind, um uns Wähler zu erreichen – das sollten wir der Politik nicht vorwerfen.“
Und wie die Politik das Fernsehen für sich nutzt, zeigt die Vorgeschichte des TV-Duells an diesem Sonntag ab 20.15 Uhr. Die beiden öffentlich-rechtlichen Sender wollten den Aufbau der TV-Debatte von Kanzlerin Angela Merkel und Herausforderer Martin Schulz zu verändern, um mehr Platz für Überraschendes zu schaffen. Doch das Begehren wurde von Seiten Merkels kurzerhand abgeschlagen.
Zuvor hatte die Kanzlerin den Wunsch der Sender nach zwei TV-Duellen abgelehnt. Das sei immer so bei Einladungen, „dann sagt man ja oder nein“, so Merkel kühl und knapp. „Kein Duell wäre der größere Schaden gewesen“, sagte dazu ZDF-Chefredakteur Peter Frey:
TV-Duelle hatten große Einschaltquote
Das Fernsehduell wird am Sonntag um 20.15 Uhr von ARD, ZDF, RTL und Sat1 übertragen und von Maybrit Illner (ZDF), Peter Kloeppel (RTL), Sandra Maischberger (ARD) und Claus Strunz (ProSiebenSat1) moderiert. Jeweils zwei Moderatoren-Gespanne werden wie bereits 2013 im Wechsel Fragen stellen. Die Sender hatte ursprünglich vorgeschlagen, dass die Paare jeweils 45 Minuten am Stück die Kontrahenten befragen.
Aber interessiert das TV-Duell die Wähler überhaupt? „Oh ja, unbedingt“, glaubt Experte Faas. „Das Duell war in den zurückliegenden Wahlkämpfen das mit Abstand wichtigste Einzelereignis.“ Vor vier Jahren, als Angela Merkel gegen SPD-Mann Peer Steinbrück antrat, schalteten 17,6 Millionen Zuschauer ein. Faas: „Kein anderes Ereignis hat eine solche Reichweite. Übrigens waren die Debatten zwischen Donald Trump und Hillary Clinton auch die erfolgreichsten, die es in den USA je gab mit Blick auf die Reichweite.“
„Problemlösung wichtiger als Sympathien“
Ähnlich sieht dies der Politikforscher Karl-Rudolf Korte von der Universität Duisburg-Essen: „Zuviel Informationen haben noch nie einer Demokratie geschadet, eher zu wenig“, so Korte. „Jede Mobilisierung der Wähler ist abhängig von Informationen: Wann ist Wahl, was steht zur Wahl, wer kann gewählt werden? Wenn es insofern Wahlinformationen schaffen, in diesen familiären Mikrokosmos einzudringen, dann ist das messbar wichtig.“
Das die mediale Inszenierung wichtiger sein könnte als Inhalte, glaubt der Experte nicht: „In Deutschland ist die Wahlkommunikation auf einem sehr hohen Niveau, zumal deutsche Wählerinnen und Wähler immer noch Problemlösungskompetenz wichtiger einschätzen als Sympathien. Insofern hilft jede Info, um diese Themen argumentativ zu unterfüttern.“