Essen. Michael Kessler hat sich in die erste Garde der Comedians vorgespielt. Zu "Switch Reloaded" kommt "Kesslers Knigge" (Fr., 22.15 Uhr, Sat.1). Jürgen Overkott sprach mit Kessler über Twittern, Leiden am Fernsehen und zeitgemäßes Tempo.

Michael Kessler: Ich habe mehrere Jahre in Bochum gelebt, und da habe ich gerne die WAZ gelesen. Damit habe ich mich doch jetzt ganz gut rangewanzt, oder?

Hey, das war doch mein Part. Ich wollte Ihnen gerade erzählen, dass mein Sohn ein großer Fan von “Switch Reloaded” ist - und ich finde, er hat einen guten Geschmack.

Kessler: Hm, Danke. Wie alt ist Ihr Sohn?

Dreizehn.

Kessler: Na, dann darf er sich das ja eigentlich noch gar nicht angucken - er zählt ja noch nicht zur Zielgruppe.

Er ist noch nicht drin, und ich bin bald wieder raus.

Kessler: Aber mit dreizehn ist Ihr Sohn das richtige Opfer für Call-In-Sendungen. Ich habe gelesen, dass sich Sender jetzt gezielt an Minderjährige wenden.

Werden diese Sendungen jetzt bei “Switch Reloaded” integriert?

Kessler: Nein, nein, nur in der Parodie. Aber Sie werden lachen: Eine moderne Form des Call-In haben wir bei der “Nacht-Taxe” gemacht, die wir in Berlin gedreht haben. Die Fahrten sind ja live gefilmt worden, und ich habe parallel dazu getwittert. Mit den modernen Kommunikationsmitteln eines großen Telefonherstellers konnten mir Zuschauer ihre Fragen schicken. Ich habe sie vorgelesen, habe sie beantwortet und habe mit den Zuschauern vor laufender Kamera gesprochen. Das war ziemlich abgefahren (lacht).

Mit anderen Worten: Ihre Taxifahrten haben das, was Hape Kerkeling damals bei „Hallo, Taxi“ abging.

Kerkeling wollte einfache Leute verarschen

Kessler: Jaaaaa, der hatte aber auch einen anderen Ansatz. Kerkeling wollte die Leute, einfache Leute von der Straße auf den Arm nehmen, und das mochten viele nicht. Bei mir das anders: Ich arbeite nicht mit versteckter Kamera, bei mir ist alles offen, und die Leute wissen das. Ich glaube, dass das so genannte Verarschen in den letzten Jahren übertrieben wurde. Man möchte nicht immer Menschen sehen, die vorgeführt werden.

Aber bei „Switch Reloaded“ verarschen Sie doch auch…

Kessler: Schon. Aber es sind nicht Menschen von der Straße, sondern wir suchen uns Leute aus, an denen wir Medienkritik üben wollen. Vielleicht können der oder die anschließend noch mal darüber nachdenken, was sie da im Fernsehen gemacht haben.

Leiden Sie beim Fernsehgucken?

Kessler: Oft, ja.

Folgen Sie der Devise von Karl Krauss, die da lautet: „Hass macht produktiv“?

Kessler: Au, der war gut. Na, Hass ist ein zu schweres Wort. Aber ein gewisser Leidensdruck ist schon da.

Wenn ich die Liste derjenigen betrachte, die Sie parodieren, kommt eine bunte Mischung zusammen: Adolf Hitler, Peter Kloeppel, Florian Silbereisen - und das sind noch nicht alle. Gibt es bei diesen Personen eine rote Linie?

"Der brennt nicht"

Kessler: (lacht) Das kann man nicht wirklich ausmachen. Hitler zieht sich ja durch meine Vita. Den habe ich schon in meiner „Wochenshow“ gespielt, und mein erster Auftritt vor einer Kamera, bei „Schtonk“, bezog sich auch auf Hitler. Mein einziger Satz, den ich sagen musste, hieß: „Der brennt nicht.“ Nein, die Rolle bei „Switch“ werden grundsätzlich danach ausgesucht, ob der Schauspieler eine gewisse Ähnlichkeit mit der parodierten Person hat bwohl es da auch mal Brechungen geben kann - beispielsweise wenn Hoecker Ottfried Fischer spielt, oder den langen Thomas Gottschalk.

Wie stehen Sie zu den Menschen, die Sie parodieren?

Kessler: Ich brauche einen inneren Abstand. Abstand macht die Parodie eher möglich als Nähe. Frank Plasberg, beispielsweise, kann ich kaum parodieren, weil ich ihn schätze. Bei Florian Silbereisen ist das bedeutend leichter, weil ich kein Volksmusikfan bin.

Wie oft müssen Sie Szenen Ihrer Opfer ansehen, um sich die charakteristischen Phrasen und die charakteristische Mimik draufzuschaffen?

Kessler: Das braucht schon seine Zeit, mehrere Stunde, manchmal Tage. Ich muss die charakteristischen Dinge rauspicken und dann verstärken.

„Switch“ setzt voraus, dass der Zuschauer den ganzen Abend mit der Fernbedienung vor der Kiste sitzt und im Zwei-Minuten-Takt von Sender zu Sender hoppelt. Wie gucken Sie fern?

Kessler: Ich zappe auch viel, um zu sehen, wo ich hängen bleiben möchte.

Wo bleiben Sie hängen?

Kessler: Bei intelligenten Sachen. Ich gucke beispielsweise unheimlich gern Dokus, auch bei Nachrichten und gelegentlich bei guten Filmen. Um ehrlich zu sein: Bei vielen Sendungen muss ich mich zwingen.

Gut, sonst hätten Sie kein Futter für „Switch“. Bei welchen Sendungen leiden Sie am meisten?

Kinder verleihen geht gar nicht

Kessler: Beim so genannten Reality-Fernsehen.

Stichwort: „Erwachsen auf Probe“.

Kessler: (verzieht sein Gesicht) Kinder verleihen - das darf eigentlich nicht ins Fernsehen.

„Switch“ ist innovativ, es läuft im Privatfernsehen, bei ProSieben. Könnten Sie sich so etwas bei den Öffentlich-Rechtlichen vorstellen?

Kessler: Na, wenn die sich trauen würden. Tatsächlich läuft Comedy im Privatfernsehen, wobei ich überhaupt nicht verstehe, dass die Öffentlich-Rechtlichen das Feld so einfach überlassen. Andersrum: Die Öffentlich-Rechtlichen sollten die Chancen ergreifen, gute Comedy zu machen.

Und Sie stünden hilfreich bereit.

Kessler: Jederzeit. Ich bin nicht an einen Sender gebunden.

Das nächste Projekt von Ihnen findet auch wieder im Privatfernsehen statt…

Kessler: …„Knigge“, ja. Wir haben was ganz Neues gemacht. Es gibt keine Sketche mehr, kein Studio-Publikum, keine Einspiellacher. Wir haben ein ganz einfaches System. Es heißt „Zehn Dinge, die man einfach nicht tun sollte, wenn…“ Restaurant, Hotel, Arzt. Wir zeigen dann nur noch Pointen im Sekunden-Takt. Die Pointe kann ein Satz sein, ein Bild, und dann schneiden wir schon. Wir wollen ein Format schaffen, das unheimlich schnell ist. Wir haben 1100 Gags gedreht, davon kommen 100 pro Folge. Das kommt modernen Sehgewohnheiten entgegen.

Brauchen moderne Gags keinen Anlauf mehr?

"Die Menschen haben keine Zeit"

Kessler: Die Menschen haben keine Zeit. Nichts gegen alte Filme: Ich selbst werde bei den langen Einstellungen alter Filme ungeduldig. Wir verstehen viele Dinge schneller und wollen dann nicht lange warten.

Das Zauberwort heißt Multitasking. Wie sieht‘s mit Ihnen aus?

Kessler: Nicht ganz extrem, aber ich würde schon sagen, ja.

Sie haben schon einige Fernsehpreise eingesäckelt. Haben Sie schon den nächsten Blick?

Kessler: Ich mache das in erster Linie für die Zuschauer.

Welche Reaktionen erhalten Sie auf Ihre Comedys?

Kessler: Bis jetzt sehr gute. Ich habe schon drei Zehner-Listen ins Internet gestellt um den Menschen einen Vorgeschmack zu geben. Ich twitterte, ich tausch mich mit den Leuten aus. Sie sind sehr dankbar, wenn wir sie mal für ein paar Minuten aus Ihrem Alltag herausreißen.

Amerikanische Sender setzen im Moment, in Zeiten der Krise, sehr stark auf Comedy. Macht sauer lustig?

Kessler: (nachdenklich) Ja, ich kann mir das schon vorstellen. Bankenkrise hin, Wirtschaftsflaute her - da ist Comedy unheimlich wichtig.

"Kesslers Knigge", Freitag, 19. Juni, 22.15 Uhr

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