Berlin. Hassen, Pöbeln, Gaffen: Bei „Hart aber fair“ drehte sich alles ums Schlechte im Menschen. Ist unsere Gesellschaft wirklich so verroht?
Geht es nach „Hart aber fair“, wird Deutschland zunehmend von schlechten Menschen bevölkert. Sie erschweren wegen ihrer Schaulust die Zufahrt zu Unfallstellen, sie geifern im Netz gegen Andersdenkende und sie attackieren Beamte bei der Ausübung ihrer Arbeit. „Hassen, Pöbeln, Gaffen – wie verroht ist unsere Gesellschaft?“ fragte am Montagabend Moderator Frank Plasberg unter Verweis auf solche und ähnliche Phänomene.
So wichtig eine gesellschaftliche Debatte über das Thema ist: Diese Ausgabe von „Hart aber fair“ verlief richtig schleppend. Das hatte zwei Gründe: Erstens waren sich natürlich alle Gäste einig, dass die beschriebenen Missstände ein Problem sind. Zweitens wurde schnell klar, dass die Statistiken die Verrohungsthese der Redaktion nicht unterstützen.
Vergebliche Mühe um Relevanz
Und so wirkte es reichlich bemüht, als der Gastgeber mit einigen – durchaus drastischen Beispielen – an Instinkte appellierte. Denn natürlich ist etwa der Fall des Rentners schockierend, der Anfang Oktober im Kassenraum einer Essener Bankfiliale zusammenbrach und trotz seiner Hilflosigkeit von mehreren Passanten ignoriert wurde. Der Mann starb später, die Empörung war völlig zurecht enorm. Doch leitet sich daraus tatsächlich eine allgemeine Verrohung ab? Die Zahlen, das räumte auch Plasberg ein, geben das nicht her.
Ein fragwürdiger Höhepunkt der vergeblichen Mühe um Relevanz in der Sendung war der Auftritt von Jan Rühmling. Der freiwillige Feuerwehrmann konnte eindrücklich berichten, wie Gaffer etwa bei Reanimationen zuschauen und wie er als Helfer in aller Öffentlichkeit verbal attackiert wird. Viel interessanter fand Plasberg aber die Geschichte, mit deren Facebook-Veröffentlichung Rühmling eine gewisse Bekanntheit erreicht hat: Bei einem Großbrand bedienten sich Gaffer an Brötchen, die eigentlich den Einsatzkräften zur Verfügung gestellt worden waren.
Die Sache mit den Brötchen
Natürlich ist es unfassbar dumm und dreist, wenn gutsituierte Menschen sich an der Verpflegung von Feuerwehrleuten zu schaffen machen und obendrein auch noch an der Getränkeauswahl herummäkeln. Doch auch hier musste sich der geneigte Zuschauer fragen, was sich daraus für die Leitfrage der Sendung ergibt. Verroht unsere Gesellschaft? Handelt es sich um ein Massenphänomen?
„Die Realität ist auch, das viele Menschen größten Respekt vor Einsatzkräften haben. Bürger schmieren Brote und kochen Kaffee für sie“, erlöste Innenminister Thomas de Maizière die Zuschauer vom minutenlangen Talk um den Brötchenskandal. Ansonsten hatte de Maizière zu dem Thema das Standard-Repertoire seines Ministeriums zu bieten: Die Forderung nach härteren Strafen sowie mehr Video- und Online-Überwachung.
Und auch sonst hatten die freundlich bemühten Gäste von Plasberg viel Verständliches, aber wenig wirklich Überraschendes zu dem Thema beizutragen. Der Theologe Wolfgang Huber warb für mehr Achtsamkeit und weniger Egoismus. Der Kriminologe Christian Pfeifer mutmaßte, dass eine gewisse Abstumpfung durch drastische Bilder ein Teil des Problems sein könnte. Und der Journalist Sandro Poggenburg mahnte, dass sich die Ablehnung und Gewalt nicht nur gegen Einsatzkräfte, sondern per se gegen alle Vertreter des Staates richte.
Künast trifft ihre Hasser
Einen kleinen Erkenntnisgewinn lieferte immerhin Renate Künast. Im Kontext der Netz-Pöbeleien verwies Plasberg noch einmal auf eine Aktion der Grünen, bei der sie Autoren von gegen sie gerichteter Online-Hetze im echten Leben besucht hatte.
„Ich wollte wissen, was das für Menschen sind“, begründete Künast ihr Vorgehen, bei dem sie von einer Journalistin des Spiegel begleitet worden war. Die Überraschung sei bei vielen Pöblern groß gewesen. „Mich hat überrascht, dass viele von ihnen der Mittelschicht angehören“, sagte Künast. Meistens sei es auch tatsächlich zu einem Gespräch gekommen. Dabei stellte sich heraus, dass die Gründe für die Eskalation auch ernüchternd trivial sein können. „Wir reden halt so“, hat Künast bei ihren Besuchen öfter gehört.
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