Berlin. Erfurt, Winnenden, München – Die Gäste bei Sandra Maischberger sprachen über Amokläufe. Das zeigte: Die Taten sind kaum zu verarbeiten.
Es ist die unfassbare Tat aus dem scheinbaren Nichts heraus, die der Film „Die Stille danach“ im Ersten am Mittwochabend behandelte: Eine gut situierte Familie, wie aus dem Bilderbuch, alles läuft rund – bis der Sohn Amok läuft und für die Familie, Freunde und Angehörige die Welt komplett aus den Fugen gerät.
„Die Amokläufer – Warum wird aus Hass Mord“: Diese Frage warf Sandra Maischberger anschließend in ihre Talk-Runde. Der Kreis bestand aus drei Gästen, deren Leben ein Amoklauf auf unterschiedliche Weise verändert hat, und einer Kriminologin: Zu Gast waren Arbnor Segashi, deren 14-jährige Schwester beim Amoklauf in München starb, die Mutter eines Opfers aus Winnenden, Gisela Mayer, und Pascal Mauf, der als Schüler die Erfurter Tat überlebte.
Die Kriminologin Professor Britta Bannenberg, die zu diversen Amokläufen in Deutschland geforscht hat, lieferte die Expertise. Die Diskussion drehte sich um diese zentralen Fragen.
• Welche Warnsignale gibt es bei Amokläufern?
„Die meisten Amokläufer kann man schon erkennen, weil sie vorher ihre Tat andeuten und mittelbare Drohungen aussprechen“, sagt die Kriminologin Bannenberg. Erfurt, Winnenden, München: Überall hätte es Anzeichen gegeben.
Tim K. aus Winnenden hat sich beispielsweise lange mit dem Amoklauf in Columbine im US-Bundesstaat Colorado 1999 beschäftigt. Die Täter, so Bannenberg, sind meist nicht empathisch und fühlen sich schnell gedemütigt. Wichtigste Quelle sind Mitschüler, die Hinweise deuten können.
• Gibt es seit München eine andere Qualität?
Ja, sagt die Kriminologin. Der Amoklauf im Olympia-Einkaufszentrum unterscheidet sich von Winnenden und Erfurt darin, dass er eben nicht in einer Schule erfolgte und dass es um maximale mediale Wirkung gehe.
„Wir haben seit Paris eine andere Welt“, sagt Bannenberg. Sie glaube, die Tat in Frankreich habe viel verändert. „Es geht um die Tat im öffentlichen Raum, die von den Medien aufgegriffen wird.“ Sie befürchtet, dass sich daran weitere Täter ein Beispiel nehmen könnten.
• Welche Hintergründe haben die Täter?
Sie sind zumeist erstaunlich gut situiert, betont die Kriminologin. „Wir sprechen da nicht von dem sogenannten Broken-Home-Phänomen.“ Das heißt, die Täter kommen nicht aus zerrütteten Verhältnissen. Allerdings trügt der Schein: „Ein Polizeibeamter würde sagen, dass es sich um eine unauffällige Familie handelt“, sagt sie.
Doch hinter den Kulissen würde sich zeigen, dass die Mitglieder der Familie oft kein Vertrauensverhältnis zum Täter gehabt haben. „Sie sind in den meisten Fällen schwer zugänglich, reden wenig.“ Es handele sich um Persönlichkeiten, die sich schnell gekränkt fühlen – worauf dann die heftige Rache folge.
• Was bringen schärfere Waffengesetze?
Das ist umstritten. „Ein Problem ist die Politik“, sagt Pascal Mauf, der den Amoklauf in Erfurt überlebte. Seiner Meinung bräuchte es noch strengere Waffengesetze. Auch in Winnenden habe der Täter die Waffe seines Vaters genommen. „Das macht mich wütend“, sagte Mauf.
Die Kriminologin Bannenberg allerdings relativierte das später: Die Tat in München habe gezeigt, dass Waffen ebenso leicht im Internet gekauft werden können. Dort müssten die Behörden ansetzen.
• Wie gehen die Betroffenen mit Amok um?
Solche Taten sind kaum zu verarbeiten. Das zeigten die Erzählungen der Gäste. „Hilft es einem, darüber zu reden?“, fragte Maischberger die Sitznachbarin Meyer. „Eigentlich überhaupt nicht, ganz im Gegenteil“, antwortete die. Doch sie tue es, um über die Gefahren zu warnen.
Der 21-jährige Arbnor Segashi, deren Schwester bei dem Münchner Amoklauf starb, schilderte seine Erfahrung mit gebrochener Stimme: „Es gab keine Zeit zu trauern.“
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