Rostock. Bundespräsident Gauck setzt auch im letzten Sommerinterview auf die integrative Wirkung seines Amtes. „Besorgten Bürgern“ gab er Kontra.

Joachim Gauck hat als Bundespräsident immer auch die integrative Aufgabe seines Amtes betont. Konkret bedeutet das für ihn, ab und an auch mal kontroverse Gegenpositionen einzunehmen, anstatt Bürgern oder Politikern nach dem Mund zu reden. Auf dem Höhepunkt der Occupy-Bewegung etwa bekundete Gauck seinen Unmut über die „unsäglich alberne“ und „ziellose“ Antikapitalismusdebatte. Mit Blick auf den Satz seines Vorgängers, wonach der Islam zu Deutschland gehöre, relativierte Gauck: Nur die hier lebenden Muslime würden zu Deutschland gehören. Während der Flüchtlingskrise mahnte der Bundespräsident schließlich auf dem Höhepunkt der Willkommenskultur gegen den Mainstream an, dass Deutschland nicht unbegrenzt Menschen aufnehmen könne.

Man musste diese Ansichten nicht teilen, man konnte sie sogar mit guten Argumenten kritisieren. Trotzdem waren Gaucks Wortmeldungen wichtig, weil so auch kontroverse Standpunkte auf die Bühne der öffentlichen Debatte gehoben wurden. Durch seine kleinen Ausbrüche aus gängigen politischen Normen sprach er auch diejenigen an, die die Politik als abgehobenes Gekungel der Mächtigen längst abgeschrieben haben. Damit unterstützte er nicht zuletzt die gesellschaftliche Stabilität im Land.

Für Merkels Flüchtlingspolitik

Diese integrative Funktion wird Gauck, der 2017 nicht für eine zweite Amtszeit als Bundespräsident kandidieren wird, bis zum Schluss durchhalten. Auch in seinem letzten Sommerinterview im ZDF blieb er seiner Linie treu, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Dieses Mal stellte er sich nicht gegen die Agenda der vermeintlichen „Gutmenschen“, sondern gab den mittlerweile weitverbreiteten Ansichten der „besorgten Bürger“ kontra.

Dazu gehörte zu allererst, dass Gauck die Kanzlerin und ihre Flüchtlingspolitik verteidigte. „Ich mag mir eine Regierungschefin nicht vorstellen, die vor das Volk tritt und sagt, wir schaffen das nicht. Warum sollte man eine solche Person wählen?“, sagte Gauck dem ZDF zu Merkels berühmtem Satz. Letztlich hätten Merkel und er bei der Flüchtlingsfrage dieselbe Haltung, auch wenn sie unterschiedliche Begriffe nützen würden.

Zugleich räumte Gauck ein, dass es in Teilen der Bevölkerung Sorgen gebe, die man ernstnehmen müsse. Allerdings sei die Politik ja nicht untätig geblieben, sondern habemit konkreten Maßnahmen auf die Entwicklungen reagiert. Zudem habe Angela Merkel deutlich gemacht, dass sich der Höhepunkt der Flüchtlingskrise nicht wiederholen werde. „Wir sind in der Frage näher beieinander als ein Teil der Öffentlichkeit vermutet“, sagte Gauck mit Blick auf sein Verhältnis zur Kanzlerin.

Gegen ein Burka-Verbot

Auch die Scheindebatte um ein Burka-Verbot kritisierte Gauck als Wahlkampfthema. Er könne gut damit leben, dass Innenminister Thomas de Maizière sich unter Verweis auf das Grundgesetz gegen einen solchen Schritt ausgesprochen habe, sagte der Bundespräsident. Gleiches gelte für die Absage an eine Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft.

Zu den Anschlägen von Würzburg und Ansbach sagte Gauck, dass es nun gut und richtig sei, die Sicherheitsbehörden zu verstärken. Allerdings dürfe man nicht dem Trugschluss erliegen, dass Sicherheit in einer Demokratie alles sei. „Sicherheit und Freiheit müssen gegeneinander abgewogen werden“, befand der Bundespräsident.

Mit Erdogan verhandeln

Auch beim Thema Türkei stellte sich Gauck gegen die öffentliche Meinung, die das Flüchtlingsabkommen zunehmend kritisch sieht. „Wir brauchen bei aller Klarheit, dass wir uns nicht erpressen lassen, auch einen differenzierten Blick auf das Land“, forderte Gauck. Viele Türken empfänden Sympathie für Präsident Erdogan und seine AKP, weil sie dem Land wirtschaftlichen Erfolg gebracht hätten. Zudem habe die Türkei Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Es sei klar, dass man mit Erdoğan verhandeln müsse. Daher sei es nicht richtig, das Flüchtlingsabkommen jetzt aufzukündigen.

Insgesamt wurde der Bundespräsident in seinem letzten ZDF-Sommerinterview seinem Ruf als Stimme der Vernunft gerecht. Deutschland sei kein sinkendes Schiff und befinde sich auch nicht in einem schweren Sturm, sondern sei allenfalls einigen Böen ausgesetzt, setzte Gauck den Untergangsfantasien in manchen Teilen der Gesellschaft entgegen. Zum Streit zwischen liberalen und rechtskonservativen Kräften sagte Gauck: „Die Spaltung ist viel kleiner, als anderswo. Sie wird manchmal herbeigeredet.“

Bei allem anstrengenden bürgerrechtlichen Pathos, den Joachim Gauck als Bundespräsident ausgestrahlt hat: Er wird fehlen.

Das komplette Interview beim ZDF online.