Berlin. Bei „Maybrit Illner“ im ZDF ging es beim Thema Türkei hoch her. Ein erregter Gast drohte gar damit, das Studio vorzeitig zu verlassen.

Der Militär-Putsch in der Türkei ist niedergeschlagen, mehr als 260 Menschen sind gestorben, rund 1400 wurden zum Teil schwer verletzt. Präsident Recep Tayyip Erdogan hat den Ausnahmezustand ausgerufen und angekündigt, die Europäische Menschenrechtskonvention auszusetzen. Die „Säuberungen“ des Staates sind in vollem Gang, mehr als 60.000 Beamte hat Erdogan bislang suspendieren lassen: Richter, Lehrer, Angestellte verschiedener Ministerien. Seinen Gegnern droht er mit der Todesstrafe. Was wird nun aus dem Land, dem Nato-Partner und Verbündetem? „Erdogans Rache – Ist die Türkei noch unser Partner?“, fragte Maybrit Illner am Donnerstagabend im ZDF.

An deutlichen Worten zu Erdogan mangelte es nicht: Menschenrechte seien faktisch ausgesetzt, erklärte etwa CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer. Es finde in der Türkei eine Gleichschaltung statt, das Land sei auf dem Weg in eine Diktatur, warnte Linken-Politikerin Sevim Dagdelen. Sie prophezeite einen „Amoklauf von Erdogan gegen Kurden und Oppositionelle“ und forderte Sanktionen gegen die Türkei. Noch deutlicher wurde der Historiker Michael Wolffsohn, der die Vorgänge in der Türkei mit dem Dritten Reich verglich: Das Land erlebe eine „totale Machtergreifung nach dem Lehrbuch der Geschichte“. Der Staatschef führe „Säuberungen“ durch, der missglückte Putsch diene als Anlass. Das erinnere ihn doch sehr an das Jahr 1933, so Wolffsohn.

CSU-Mann Scheuer lehnt türkische EU-Mitgliedschaft strikt ab

Die Talk-Runde: Andreas Scheuer, Maybrit Illner, Mustafa Yeneroglu, Deniz Yücel und Michael Wolffsohn (von links).
Die Talk-Runde: Andreas Scheuer, Maybrit Illner, Mustafa Yeneroglu, Deniz Yücel und Michael Wolffsohn (von links). © imago/Metodi Popow

Doch auf die Frage, wie man Erdan unter Druck setzen könne, antwortete die Runde, zu der neben Wolffsohn, Scheuer und Dagdelen auch der Journalist und „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel und der türkische AKP-Politiker Mustafa Yeneroglu gehörten, wenig Konkretes. CSU-Mann Scheuer versuchte es – und scheiterte: Es dürfe weder eine EU-Mitgliedschaft noch eine Visa-Freiheit für die Türkei geben. Die Themen Anti-Terror-Kampf und Flüchtlingskrise könnten davon aber durchaus „abgekoppelt“ werden. Wie das konkret funktionieren soll, verriet Scheuer allerdings nicht.

Der CSU-Mann fühlte sich in der Diskussionsrunde sichtlich stark. Es sei schließlich seine Partei gewesen, die immer gegen eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union gewesen sei, erklärte er. Dass gerade ein Nein der Bundeskanzlerin zur Mitgliedschaft die liberalen Kräfte der Türkei 2005 „verraten“ und so viele Probleme im Land erst verschärft habe, wie Journalist Deniz Yücel anmerkte, ignorierte der CSU-Mann.

„Unterm Bombenhagel“ die Welt informiert

In seiner „Ich hab’s doch gleich gesagt“-Attitüde ging er dann auch den einzigen Erdogan-Anhänger in der Runde, Mustafa Yeneroglu, an. Der solle sich gefälligst an die deutschen Gepflogenheiten halten und seine Gesprächspartner ausreden lassen. Wenn sich doch nur alle Gäste an diese „Gepflogenheiten“ gehalten hätten... Journalist Deniz Yücel übernahm kurzerhand den Job von Moderatorin Maybrit Illner und machte Scheuer auf seine Unverschämtheit aufmerksam.

Es muss Yücel sicherlich nicht leicht gefallen sein, AKP-Mann Yeneroglu in diesem kurzen Moment zur Seite zu stehen. Hatten sie die Sendung doch schon mit einer hitzigen Diskussion begonnen, als sie von ihren Erlebnissen in der Nacht auf den 16. Juli 2016 berichteten. Beide Männer waren während des Putsch-Versuches in der Türkei – Yücel in Istanbul, Yeneroglu in Ankara. Während Yücel von Schüssen berichtete, von Tausenden ängstlichen Menschen auf den Straßen, von etlichen Militärflugzeugen in der Luft, schwärmte Mustafa Yeneroglu von einem Kampf für die Demokratie – und gegen den Militärputsch. Er und seine Parlaments-Kollegen hätten „die Welt aufrütteln“ wollen. „Unter Bombenhagel“ hätten sie die Welt via Nachrichtensendungen informieren wollen.

Aggressive Stimmung im Studio

Die Situation in der Türkei ist dramatisch – dementsprechend aggressiv wurde auch die Stimmung im TV-Studio. Zwei Seiten prallten aufeinander; ein Entgegenkommen war im Kleinen so unmöglich wie im großen politischen Ganzen. Mustafa Yeneroglu fühlte sich so in die Ecke gedrängt, dass er das Studio kurzerhand verlassen wollte: „Wenn Sie mich nicht reden lassen, gehe ich jetzt.“

Illner giftete er an, sie habe sowieso von der gesellschaftlichen Situation in der Türkei keine Ahnung. Er verbitte sich Vergleiche mit dem Dritten Reich – zog seinerseits aber auch historisch fragwürdige Vergleiche: Die Putschisten setzte er mit den Terroristen der Roten Armee Fraktion (RAF) gleich. Doch den Ball spielte Historiker Michael Wolffsohn prompt zurück: Wenn, dann seien die Putschisten eher mit den Hitler-Attentätern rund um Claus Schenk Graf von Stauffenberg vergleichbar.

Gefahr auch für Deutschland?

Die Frage, welche Auswirkungen die Lage in der Türkei auf Deutschland hat, kam bei all den Anfeindungen fast zu kurz. Dabei schlagen Experten Alarm: In Gelsenkirchen hatten Erdogan-Anhänger nach dem versuchten Putsch randaliert, in Augsburg waren Steine in die Fenster von Bildungseinrichtungen der Gülen-Bewegung geflogen. Der türkische Staat macht die Bewegung bekanntlich für den Putsch-Versuch verantwortlich. Es gebe Gewalt-Aufrufe gegen ihn und seine Mitstreiter berichtete Gülen-Anhänger Ercan Karakoyun in einem Einspieler. Es herrsche große Angst und Verunsicherung.

Auch Sebastian Fiedler, stellvertretender Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, sieht eine große Gefahr, dass türkische Konflikte auch in Deutschland ausgetragen werden. Präsident Erdogan habe einen verlängerten Arm bis nach Deutschland, etwa über den Moschee-Dachverband Ditib (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion). Wenn es um Fußball ginge, würden sich die Innenminister der Länder selbstverständlich mit dem Deutschen Fußballbund zusammensetzen und Forderungen nach mehr Sicherheit stellen, so Fiedler. Ähnliches fordert er auch in der Sicherheitspolitik mit türkischen Verbänden.

Die Sendung endete wie sie angefangen hat. Moderatorin Maybrit Illner war kaum zu verstehen, verabschiedete sich, während die Diskussion im Hintergrund weiterlief. Die nächste Möglichkeit, in ihrer Sendung wieder zu Wort zu kommen, gibt es nach der Sommerpause in fünf Wochen. Das Thema Türkei dürfte bis dahin an Aktualität nichts verloren haben.