Berlin. Was tun mit einem wütenden Erdogan? Diese Frage stellte nach der Armenien-Resolution des Bundestags am Donnerstagabend Maybrit Illner.
Wie sagt man einem Partner die Wahrheit, wenn dieser die Wahrheit nicht hören will? Und man ihn nicht verärgern will, weil man von ihm abhängig ist? So ähnlich geht es bei der Armenien-Resolution des Bundestages der Bundesregierung: Natürlich hält auch Angela Merkel die Massaker an bis zu 1,5 Millionen Armeniern und anderen christlichen Gruppen im Osmanischen Reich für einen Genozid. Die Verabschiedung der Resolution, in der dieser Völkermord vom Parlament erstmals als solcher benannt wird, kommt für die Kanzlerin trotzdem zur Unzeit. Schließlich knirscht es in den Beziehungen zur Türkei ohnehin schon merklich.
Welche Auswirkungen wird der Affront haben? Droht gar eine Absage des Flüchtlingsdeals? Diese Fragen stellte am Donnerstagabend auch Maybrit Illner. Diskutiert wurden sie von Franz Josef Jung (CDU), Jürgen Trittin (Grüne), dem Anwalt Fatih Zingal, dem Journalisten Hasnain Kazim und der Politikwissenschaftlerin Sylke Tempel.
Trittins Hitlervergleich
Für einen Eklat sorgte Jürgen Trittin, der das Streben des türkischen Präsidenten Erdogan nach einem Präsidialsystem mit der Machtergreifung Hitlers verglich. Auch Hitler sei die Macht zunächst auf formal einwandfreiem Wege übertragen worden, sagte der Grünen-Politiker mit Blick auf die jüngsten Entscheidungen im türkischen Parlament. Entscheidend sei aber, dass es andere Mechanismen wie gemeinsame Werte gebe, die die Mehrheitsmeinung im Zweifel begrenzten. „ In der Türkei werden diese Werte gerade zerstört“, sagte Trittin.
Fatih Zingal war von diesen Ausführungen sichtlich geschockt. „Der Vergleich mit Hitler ist hart“, sagte der Anwalt und Erdogan-Befürworter. Zugleich machte Zingal deutlich, dass er vom Armenien-Beschluss des Bundestages nichts hält. „Diese Resolution führt dazu, das Türen geschlossen werden.“ Der Begriff Völkermord sei zu einem politischen Kampfbegriff verkommen, der missbraucht werde, um die Türkei zu bevormunden. „Warum werden nicht andere Verbrechen wie die der Franzosen in Algerien oder die der USA an den Indianern aufgearbeitet?“, fragte Zingal.
„Erdogan ist unverlässlich und erratisch“
Für Franz Josef Jung war die Antwort auf diese Frage klar. Die Resolution sei deswegen für Deutschland wichtig, weil es eine deutsche Mitverantwortung gebe, sagte der frühere Verteidigungsminister. Das Deutsche Reich habe als militärischer Hauptverbündeter des Osmanischen Reichs von den Vorgängen gewusst, diese aber nicht gestoppt. Außerdem sei der Beschluss nicht als Anklage gegen die Türkei zu verstehen „Es ist nicht die Schuld der heutigen Regierung“, sagte Jung. Man müsse aber zur eigenen historischen Verantwortung stehen, um Versöhnung herbeiführen zu können.
Den substantiellsten Beitrag zur Frage nach den Folgen der Resolution leistete Sylke Tempel. In der Reaktion der Türkei – Abzug des Botschafters, scharfe Rhetorik, Einbestellung des deutschen Geschäftsträgers in Ankara – erkannte die Politikwissenschaftlerin ein übliches Ritual. „Die türkische Regierung wirft mit Schmackes die Tür zu und beschwert sich dann, dass die Tür zu ist“, sagte Tempel. Folgen für das Flüchtlingsabkommen seien aber nicht zu befürchten. „Die Interessen der Türkei werden die Verletzung überwiegen.“ Zugleich warnte Tempel aber davor, dass sich die Türkei immer stärker in einen autokratischen Staat verwandelt. „Erdogan ist unverlässlich, er ist erratisch und neigt zu starken Worten.“ Die Türkei werde dadurch eher zu einem schwierigeren Partner werden.
Der stärkste Appell kam schließlich von Hasnain Kazim. Eindrücklich berichtete der Spiegel-Journalist, der seine Akkreditierung in der Türkei verloren hat, von der Situation seiner Kollegen in der Türkei. „Es ist notwendig, dass internationale Korrespondenten weiter kritisch aus dem Land berichten“, sagte Kazim. Türkische Journalisten könnten dies nicht mehr, weil ihnen andernfalls Gefängnis drohe. Dabei sei auch die Bundesregierung gefragt, zumal Erdogan glaube, sich immer mehr erlauben zu können. „Man sollte nicht schweigen, auch wenn man nicht immer laut sein muss.“
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