Berlin. ARD-Talkerin Sandra Maischberger ließ ihre Gäste über das AfD-Programm debattieren. Die Kritiker vergaben dabei reihenweise Chancen.
Sie hatten alle Möglichkeiten, den mit heißer Luft gefüllten AfD-Ballon zum Platzen zu bringen. Aber sie haben ihre Chancen vertan und sich lieber selbst zerfleischt. Im ARD-Talk von Sandra Maischberger diskutierten am Mittwoch Gregor Gysi (Die Linke), Elmar Brok (CDU) und der Politologe Albrecht von Lucke mit dem Buch-Autoren und immer-noch-SPD-Mitglied Thilo Sarrazin und der AfD-Vize-Chefin Beatrix von Storch. Thema: „Die Angstmacher. Wie gefährlich sind Deutschlands Populisten?“
Es ging hoffnungsvoll los. Denn Gysi machte in gewohnt direkter Weise deutlich, was er von der AfD hält: Das Programm der Partei sei „asozial“. Es spiele mit abstrakten Ängsten und sei gegen die Verfassung gerichtet. Er prophezeite gar einen „Religionskrieg“, sollte die AfD tatsächlich an die Macht kommen. Restriktionen gegen Muslime in Deutschland führten in islamistischen Ländern dazu, dass Kirchen geschlossen und Christen verfolgt würden.
Gegen Vollverschleierung und Minarette
Im Mittelpunkt der Sendung sollte das erste Grundsatzprogramm der AfD stehen. In dem fordert die Partei unter anderem ein Verbot der Vollverschleierung, ein Kopftuchverbot für Frauen im Öffentlichen Dienst, aber auch für Schülerinnen und Lehrerinnen an Schulen, sowie Verbote von Minaretten und Muezzin-Rufen. Einige Parteimitglieder fordern gar, den Bau für Moscheen in Deutschland gar nicht zuzulassen.
Das setzte eine hitzige Debatte in Gang über den Islam und das Grundrecht auf freie Religionsausübung. Selbst Thilo Sarrazin, der seit Jahren wegen seiner islamkritischen Haltung in der Kritik steht, distanzierte sich von der AfD. Bei den „polemischen Reden“ des Thüringer AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke etwa habe er „Assoziationen, die man nicht gerne hat.“ Einen Einspieler, der Höcke bei einer Kundgebung zeigte, kommentierte Sarrazin schlicht: „Das ist krass.“
Beatrix von Storch hielt sich auffallend zurück
Auch Politologe Albrecht von Lucke warnte vor einer „Radikalisierung“ durch die AfD. „Das ist weitaus dramatischer als Sarrazin“, antwortete er auf die Frage, ob Sarrazin der geistige Wegbereiter der AfD sei. Dabei stuft er die Thesen des ehemaligen Berliner Finanzsenators schon als „hoch gefährlich“ ein. Von Lucke, Gysi und EU-Parlamentarier Elmar Brok waren sich einig in der Sache, gegen die biologistische Argumentation eines Thilo Sarrazin und das AfD-Grundsatzprogramm zu sein. Und dennoch ließen sie Sarrazin und von Storch gewähren.
Letztere hielt sich vornehm zurück, sagte (fast) nur dann etwas, wenn sie auch gefragt wurde. Und die Talkrunde fand sich offenbar damit ab; sie vergab Chance um Chance, von Storch zu widerlegen, die sich ein ums andere Mal um konkrete Antworten drückte.
Moderatorin Sandra Maischberger ohne Biss
„Der Islam gehört nicht zu Deutschland.“ Diesen Satz, für den die AfD gerade viel Kritik einsteckt, habe auch CDU-Mann Volker Kauder schon einmal gesagt, argumentierte von Storch. Dass es sehr wohl einen Unterschied macht, einen unbedarften Satz zu äußern oder diesen Satz ganz offiziell ins Parteiprogramm aufzunehmen, machte Albrecht von Lucke zwar deutlich, doch seine Replik verhallte.
Und auch Sandra Maischberger hätte hartnäckiger sein können. „Sind alle Muslime Verfassungsbrecher?“, fragte sie Beatrix von Storch. Doch statt der AfD-Vize-Chefin vor Augen zu führen, dass genau das die Konsequenz aus den AfD-Parolen ist, ließ sich die Gastgeberin mit Ausflüchten abspeisen. Die AfD sei eine Partei, die einfach nur differenziere, die die Ängste der Bürger wahrnehme, so das Mantra, das von Storch immer wieder aufsagte.
Kardinal Woelki – ein „Staatsbeamter“
Kritik an der Partei ließ sie nicht zu. Zu Kardinal Rainer Maria Woelki, der die AfD jüngst scharf kritisiert hat, sagte von Storch, dieser sei ja eh nur „ein Staatsbeamter“. Die Runde reagierte erheitert, vergab aber auch hier die Chance, von Storch in die Enge zu treiben.
Sie haben sich ja bemüht. Elmar Brok warnte: Der Weg der AfD „wird zu einer Spaltung unserer Gesellschaft führen.“ Und den von der AfD geforderten Ausstieg aus der Währungsunion kommentierte Gregor Gysi mit: „Es tut mir leid, Frau von Storch, aber da haben Sie keine Ahnung.“ Deutlicher geht es nicht.
Womöglich hatten sie mit mehr Gegenwehr der Frau von Storch gerechnet. Vielleicht waren sie so verdutzt, dass die AfD-Frau nicht auf offenen Konfrontationskurs ging, dass die übrigen Gesprächspartner ihre Streitlust anderweitig befriedigen mussten.
Wenn alle sich streiten, freut sich die Rechte
Da attackierte Albrecht von Lucke plötzlich Elmar Brok. Und Gregor Gysi stimmte auch mit ein, machte die ungleiche Verteilung des Geldes zum Thema. Mittendrin mischte sich Thilo Sarrazin mit seinen haarsträubenden Thesen zur Armut in Afrika ein (die Armut des Kontinenten ist die Schuld der afrikanischen Staaten). Am Ende ging es in einem wilden Durcheinander um den Mehrheitszwang in Fraktionen und um Grundsatzfragen einer parlamentarischen Demokratie.
Beatrix von Storch dürfte sich entspannt zurückgelehnt haben: Wenn alle sich streiten, freut sich die Rechte. Da brachte sie auch die Abschlussfrage von Sandra Maischberger nicht aus dem Konzept. Die wollte wissen, ob es nicht widersprüchlich sei, keinen Rundfunkbeitrag zu zahlen, trotzdem aber Sendungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens als Forum zu nutzen. Von Storch locker: „Sie haben mich eingeladen. Sie wussten, dass ich nicht zahle.“