Essen. Am 1. September 1939 überschreiten 1,5 Millionen deutsche Soldaten die Grenze zu Polen. Eindringlich schildert die ARD-Dokumentation "Der Überfall" den Beginn des Zweiten Weltkriegs.

Es war ein Freitag vor 70 Jahren. In den frühen Morgenstunden des 1. September 1939 überschreiten 1,5 Millionen deutsche Soldaten die Grenze zu Polen. Etwas mehr als einen Monat sollen die Kämpfe dauern, dann ist sie dahin, die nach dem Ersten Weltkrieg so mühsam erstrittene und von den Siegermächten von 1918 garantierte polnische Unabhängigkeit.

Was folgt, sind fünf Jahre Besatzung. Fünf Millionen Menschen, darunter drei Millionen polnische Juden, sollen diese Zeit nicht überleben. Zum 70. Jahrestag des Angriffs auf Polen zeigt die ARD am Dienstag, 18. August, um 22.45 Uhr die Dokumentation „Der Überfall”.

Nichts soll dem Zufall überlassen werden

Hitler hat alles bis ins kleinste Detail durchgeplant. Nichts soll dem Zufall überlassen werden. Bevor auch nur ein Schuss vom Linienschiff Schleswig-Holstein auf das polnische Munitionsdepot Westerplatte bei Danzig abgegeben wird, hat die Wehrmacht Kameras in Stellung gebracht, die das Gefecht medienwirksam für die deutsche Wochenschau aufnehmen sollen. Das Kriegsschiff befindet sich - nach offiziellen Angaben - zum Freundschaftsbesuch in Danzig, die als Stadt mit vornehmlich deutscher Bevölkerung einen Sonderstatus genießt. Danzig ist damals ein kleiner, eigener Staat. Und Hitler ist dieser Zustand ein Dorn im Auge.

Die polnische Post in Danzig nach der Erstürmung durch die Wehrmacht. Die Widerstand leistenden Polen sollten alle den Tod finden. Foto: ARD
Die polnische Post in Danzig nach der Erstürmung durch die Wehrmacht. Die Widerstand leistenden Polen sollten alle den Tod finden. Foto: ARD © NDR/Museum der Polnischen Post i NDR/ARD

Der Überfall auf Polen beginnt nicht mit dem Beschuss der Westerplatte, sondern mit einem Bombenangriff. Hitlers „Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen” erfahren die Bürger der polnischen Kleinstadt Wielun nahe der Grenze zu Deutschland bereits eine Stunde früher. Sturzkampfbomber nehmen das Stadtzentrum ins Visier. Eugeniusz Kolodziejczyk erinnert sich. „Papa, ich höre 'was. Flugzeuge. Papa, es fallen Bomben”, sagt er zu seinem Vater. Der junge Pole sieht später auf der Straße ein Mädchen liegen. Er läuft hin, hebt das Kind auf. Ihr Gesicht ist voller Blut. „Sie war vielleicht das erste Opfer des Zweiten Weltkriegs”, sagt Kolodziejczyk. Der Renter ist nur einer der vielen deutschen und polnischen Zeitzeugen, die Knut Weinrich in seiner Dokumentation zu Wort kommen lässt.

Keine Funktionsträger, „einfache” Menschen, die den Beginn des Krieges aus ihrer Sicht darstellen. Mit eindringlichen Schilderungen, die betroffen machen, das Leid, das die Deutschen der polnischen Bevölkerung zufügen, aber nur erahnen lassen.

Von Anfang an ein Terrorkampf

1200 der rund 16 000 Bewohner kommen in Wielun, beim ersten Bombenangriff des Zweiten Weltkriegs, ums Leben. Das schreckliche Ereignis ist bezeichnend für den gesamten Polen-Feldzug der Wehrmacht. Angegriffen werden nicht nur militärische Ziele, Luftwaffe und Heer nehmen vor allem die Zivilbevölkerung ins Visier. Der Krieg ist von Anfang an als Terrorkampf geplant. Um den Widerstandswillen der Polen zu brechen. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen folgen die Verhaftungswellen.

Erschießungskommandos nehmen Rache. Weil etwa Beamte in der polnischen Post in Danzig einen Tag erbitterten Widerstand leisten. Originalaufnahmen von damals dokumentieren das Geschehen, wechseln sich in der ARD-Doku ab mit Zeitzeugen-Interviews und Experten-Kommentaren - typisch für historische Dokumentationen jüngster Zeit.

Das Linienschiff
Das Linienschiff "Schleswig-Holstein" eröffnet das Feuer auf die Westerplatte, einen polnischen Militärstützpunkt bei Danzig. Foto: ARD © NDR/Museum der Polnischen Post i NDR/ARD

Polens Schicksal ist besiegelt. Auch weil Großbritannien und Frankreich nicht Wort halten. Anstatt, wie in Verträgen festgehalten, Deutschland von Westen aus anzugreifen, bauen die Briten ihre Luftverteidigung aus, graben sich die Franzosen an der Grenze zu Deutschland ein. Keiner will sich dem Deutschen Reich erneut gegenüberstellen, zu groß ist das Trauma des Ersten Weltkriegs mit seinen Millionen Toten. Hätten Franzosen und Briten entschiedener gehandelt, so der polnische Historiker Ryszard Kaczmarek von der Universität Kattowitz in der NDR-Doku, hätte sich der Krieg nicht zum Weltkrieg auswachsen können. „Wir wissen doch, wie das Kräfteverhältnis auf beiden Seiten war. Deutschland war 1939 absolut nicht auf einen Kampf an zwei Fronten vorbereitet. Wir können davon ausgehen, dass ein Zwei-Fronten-Krieg zur Niederlage Deutschlands geführt hätte.”

Totale Ausbeutung und Unterjochung

Hitlers Nichtangriffpakt mit der Sowjetunion markiert nach dem Versagen der West-Alliierten Polens endgültigen Zusammenbruch. Nach nur 36 Tagen ist der Kampf vorbei, das Land wird aufgeteilt zwischen Deutschland und der Sowjetunion, so wie es Hitler und Stalin vorher in geheimen Gesprächen vereinbart haben.

Die Folge ist die totale Ausbeutung und Unterjochung der Polen – ein Vorgeschmack auf das, was der Sowjetunion und anderen Staaten Ost- und Südosteuropas danach drohen sollte. Der Anfang vom Ende eines freien Europas.

Dienstag, 18. August, 22.45 Uhr, ARD.