Köln. Kanzlerin Merkel strebt eine europäische Lösung der Flüchtlingskrise ein. Bei „Hart aber fair“ wird deutlich: Partner hat sie dafür kaum.
Geht es nach Angela Merkel, kann die Flüchtlingskrise nur durch die Bekämpfung der Fluchtursachen und durch die Bereitstellung von festen europäischen Kontingenten gelöst werden. Doch während man bei den Fluchtursachen zumindest formale Fortschritte wie neue Milliardenbeträge für die Flüchtlingshilfe vor Ort verbuchen kann, ist eine europäische Vereinbarung zur Verteilung der ankommenden Menschen nicht in Sicht. Der Grund: Viele EU-Staaten sperren sich dagegen, regelmäßig eine fest vereinbarte Zahl an Flüchtlingen aufzunehmen.
Dieser Konflikt beschäftigt in dieser Woche wieder einmal einen EU-Gipfel – und am Montagabend auch „Hart aber fair“. „Lässt Europa uns im Stich?“, lautete die Frage, die Gastgeber Frank Plasberg von der österreichischen Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, dem CDU-Politiker Armin Laschet, dem ungarischen Botschafter in Deutschland Peter Györkös und den Journalisten Kaki Bali und Rolf-Dieter Krause diskutieren ließ.
Ein deutsches Problem?
Ein guter Teil der Diskussion konzentrierte sich auf Mikl-Leitner und Györkös, die beide als Sprecher für ihre Länder auftraten – und auch einiges zu erklären hatten. Botschafter Györkös verwendete viel Zeit darauf, das Vorgehen Ungarns in der Flüchtlingskrise zu rechtfertigen. „Was wir tun, tun wir für die Sicherheit der deutschen Bürger“, sagte der Diplomat mit Blick auf Zäune und Grenzkontrollen. Inwiefern die menschenunwürdige Behandlung der Flüchtlinge im Herbst, die letztlich zur zeitweilig unbeschränkten Weiterreise nach Deutschland führte, dem deutschen oder irgendeinem anderen Bürger genutzt haben könnte, ließ Györkös offen. Ohnehin war er der Ansicht, dass es sich bei der Flüchtlingskrise um ein deutsches Problem handle. 99 Prozent der Flüchtlinge wollten schließlich nach Deutschland, weil es wirtschaftliche Anreize wie etwa Wohnungsbauprogramme gäbe, so der Botschafter.
Diese Argumentation wollte Kaki Bali nicht gelten lassen. „Die Menschen kommen nicht wegen Bauprogrammen, sondern weil in ihren Ländern Krieg herrscht“, sagte die griechische Journalistin. Gerade die osteuropäischen Staaten, die sich jetzt gegen eine automatische Verteilung der Flüchtlinge wehrten, hätten diese Kriege mit verursacht, als sie die Nahost-Politik der USA bedingungslos mittrugen.
Deutsche Solidarität in Gefahr
Kritik an Györkös kam auch von Rolf-Dieter Krause, der unter Verweis auf den Irakkrieg ganz ähnlich argumentierte wie Bali. Zugleich warnte der Leiter des Brüsseler ARD-Studios aber auch davor, welche Folgen es haben könnte, wenn Deutschland jetzt von den anderen EU-Staaten im Stich gelassen werde. „Deutschland war in Europa immer solidarisch, auch mit Griechenland, auch mit Ungarn“, sagte Krause. Diese Solidarität werde beim nächsten Mal keine deutsche Regierung mehr vor den Wählern rechtfertigen können, wenn die Flüchtlingskrise nicht gemeinsam gelöst werde. „Das ist gefährlich für Europa“, sagte Krause.
Einen ersten Geschmack auf eine derart vergiftete Atmosphäre lieferte Armin Laschet. „Österreich hat gut dabei geholfen, die Flüchtlinge mit Bussen nach Deutschland zu fahren“, kritisierte der CDU-Parteivize adressiert an Mikl-Leitner. „Wenn wir die Grenze dicht machen, hat Österreich ein großes Problem.“ Das zeige, dass nationale Alleingänge keine Aussicht auf Erfolg hätten.
Große Zweifel an der österreichischen Obergrenze
Mikl-Leitner stand allerdings auch abseits von solchen Vorwürfen stark unter Druck. Schließlich kam ihr als österreichische Innenministerin die undankbare Rolle zu, die praktische Umsetzung der von Österreich beschlossenen Obergrenze von jährlich 37.500 Flüchtlingen zu erklären. Wird der 37.501 Flüchtlinge also auf jeden Fall abgeschoben, auch wenn er einen berechtigten Asylgrund vorweisen kann? Man habe zur Durchsetzung der Obergrenze ein ganzes Bündel an Maßnahmen wie etwa schnellere Abschiebungen und tägliche Obergrenzen beschlossen, führte die ÖVP-Politikerin vage aus. Außerdem sei auch denkbar, dass Asylanträge einfach verschleppt würden, wenn die Obergrenze erreicht sei. Eine erstaunliche Antwort: Probleme werden aufgeschoben, damit Zahlen eingehalten werden. Funktioniert so österreichische Politik?
ARD-Mann Krause konnte da nicht mehr an sich halten. „Ich halte das nicht mehr aus, die Obergrenze ist nur für die Umfragen gedacht“, sagte der Journalist. Die Sehnsucht nach einfachen Antworten produziere überall Populismus. Die Obergrenze sei als „Beruhigung für die kochende Volksseele“ gedacht. Kritik kam auch von Laschet. „Ich fand das nicht sehr überzeugend“, sagte der CDU-Politiker. Im Kern habe Mikl-Leitner das beschrieben, was in Österreich, aber auch in Deutschland ohnehin gelte.
Österreich pokert hoch
Die so Gescholtene gab sich unbeirrt und setzte zum Ende der Sendung getrieben von einem hartnäckig nachfragenden Gastgeber sogar noch einen drauf. „Wir haben die Verschärfungen gewollt“, sagte die ÖVP-Politikerin. Durch die österreichischen Grenzkontrollen werde sich das Problem auf den Balkan verschieben. Dadurch würden die Beteiligten zu schnelleren Lösungen gezwungen. Zudem gehe es auch darum, in alle Welt das Signal auszusenden, das Österreich ein „strenges Regime bei der Einwanderung“ hat. „Es wird keine Gewalt gegen Flüchtlinge geben, aber wenn von den Flüchtlingen Gewalt ausgeht, werden die Polizei und die Bundeswehr dagegen vorgehen“, beantwortete die Innenministerin dann noch eine Frage, die so gar nicht gestellt worden war.
Sind sie das also, Merkels Partner für eine europäische Lösung der Flüchtlingskrise? Anlass für große Hoffnung gab die Runde nicht, dafür aber einen sehr realistischen Einblick in die verzwickte Politik in der EU. Und so klang es fast trotzig, als die Journalistin Kaki Bali am Ende darauf hinwies, dass die deutsche Kanzlerin nicht alleine sei. „Es gibt immer noch die Allianz der guten Menschen unter uns“, sagte Bali. Ob das am Ende reichen wird?
Die Ausgabe von „Hart aber fair“ können Sie in der ARD-Mediathek als Stream anschauen.