Sat.1 will mit der Kinderabteilung von „The Voice“ begeistern: Für die großen Gefühle hätte es den ganzen Zirkus gar nicht gebraucht.
Halten Sie die Taschentücher bereit, denn Sat.1 setzt auf ganz großes Theater. Schon nach wenigen Sendeminuten in der neuen Staffel der Kinderabteilung von „The Voice of Germany“ wird dem Zuschauer auf die Tränendrüse gedrückt, bis er „Ach sind die nieeeedlich“ ausrufen mag.
Denn es beginnt mit einem Heile-Welt-Programm erster Güte: Kinder, die – meist sogar bemerkenswert gut – singen, eine hampelnde Jury, die sich gelegentlich als Clownstruppe bewähren könnte und eine Moderation, die um eine blonde Kollegin mit niederländischem Akzent erweitert wurde. (Nein es handelt sich nicht um Sylvie Meis.) Am Ende hätte es den ganzen Zirkus gar nicht gebraucht.
Jurymitglieder entscheiden blind
Nach einem kurzen Einspieler geht’s los mit den Blind Auditions, jenem Konzept, das die Sendung von Konkurrenzformaten unterscheidet: Die Jury, bestehend aus den Sängern Mark Foster, Lena Meyer-Landrut und Neuzugang Sasha, sitzt mit dem Rücken zur Bühne und soll sich ihre Meinung allein nach dem Gehörten bilden.
Erste Kandidatin ist die kleine Emma, die sich den neuen Song von Sarah Connor ausgesucht hat. Bevor sie aber „Wie schön du bist“ trällern darf, gibt’s für die Zehnjährige noch eine Überraschung: Der Sender hat Sarah Connor um eine Video-Motivations-Botschaft für Emma gebeten. Die wiederum verdrückt beim Ansehen der Nachricht erwartbar einige Tränchen. Kalkül von Sat.1.
Coach Lena Meyer-Landrut muss weinen
Auf der Bühne legt die Kleine eine famose Leistung hin und bringt Lena Meyer-Landrut schließlich auch noch zum Weinen. „Das wird ja super“, quietscht Titelverteidigerin Lena in Richtung Publikum, als sie von Emma als Coach ausgewählt wird und wähnt sich als Siegerin des Abends. Den großen Fang aber soll Mark Foster machen.
Zunächst beweihräuchern die Coaches sich jedoch selbst. Ein Auszug: Mark Foster über Lena: „Lena hat eine unglaubliche Karriere hingelegt, einfach der Wahnsinn.“ Sasha über Mark Foster: „Ohne Mark kann man sich die deutsche Musiklandschaft überhaupt nicht mehr vorstellen.“ Und beide über Sasha: „Mann, der ist ja schon 20 Jahre im Musikgeschäft.“ Das soll dieser prompt unter Beweis stellen und – aus welchen Gründen auch immer – eine Stevie-Wonder-Parodie hinlegen, die dann auch halbwegs gelingt. Lena trumpft hingegen mit einer (noch) theatralischeren Version von Celine Dions „My heart will go on“ auf.
„Dynamitstange“ mit Bühnenpräsenz
Volle Power und eine beeindruckende Bühnenpräsenz hat Emily, 14 Jahre alt, die „Trouble“ von Taylor Swift singt und laut Foster „wie eine Dynamitstange“ hochgegangen ist. Dem können auch die anderen kryptischen Jury-Kommentare nichts anhaben. Lena: „Man hätte gar nicht gedacht, dass das so krass ausbricht, weil es schon so krass angefangen hat.“ Sasha übersetzt: „Der Auftritt hatte eine extreme Energie. Das war wirklich der Knaller.“
Zwischendurch fragt man sich, woher diese präpubertären Kinder ihr derart ausgeprägtes Selbstbewusstsein herhaben. So wie Ilan, der sich eine grandiose Queen-Nummer ausgesucht hat. Allein für seinen Musikgeschmack möchte man den Jungen umarmen. „Another One Bites the Dust“ performt er zwar gesanglich wackelig, aber mit einer unglaublichen Coolness. Bei der Wahl seines künftigen Coaches verpasst er Lena dann auch noch eine Abfuhr, die man vermutlich nur einem Zwölfjährigen verzeiht: „Also ich mag dich Lena – du bist schön – aber ich gehe zu Sasha“, sagt Ilan. Lena nimmt’s mit Humor und beweist, dass auch sie eine saucoole Socke ist. Von den Regentänzen zwischendurch mal abgesehen.
Hervorzuheben ist, dass „The Voice“ sich nicht nur durch sein auf Talent anstatt von Äußerlichkeiten ausgerichtetes Konzept stark von Formaten wie „DSDS“ oder „Das Supertalent“ unterscheidet. Musik wird hier nicht vorgetäuscht: Alle Songs werden von einer Band live begleitet. Schade nur, dass diese auf dem Bildschirm nicht auftaucht.
Lukas’ Auftritt macht alle Zweifel vergessen
Doch bei allem Lob zum Konzept, stößt einem naturgemäß immer wieder die Frage auf, ob man Kinder einem derart breiten Publikum und der damit einhergehenden öffentlichen Bewertung aussetzen sollte. Und auch, ob man den Heranwachsenden so fälschlicherweise vermittelt, dass Musiker wird, wer sich bei einer Castingshow bewirbt. Vergessen macht die Zweifel der nächste Auftritt.
Denn Lukas wählt einen Song, der schon beinahe als Generalfehler bei Castingshows gilt: Der 13-Jährige wagt sich an Alicia Keys’ ebenso schöne wie schwierige Soulnummer „Fallin“. Juror Sasha wird danach treffend sagen: „Das ist einer der typischen Songs, bei denen man eigentlich sagt: Nein, nein, nein das macht man nicht.“
Lukas macht’s trotzdem. Und lässt Lena mit dem ersten gesungenen Ton wie wild auf den Buzzer hämmern, nur kurz darauf ziehen ihre Co-Juroren nach. Der Auftritt von Lukas ist der Höhepunkt der Sendung, der den Zuschauer mit offenem Mund auf den Fernseher starren und sein Herz höher schlagen lässt, bis der Junge seinen bemerkenswerten Gesang beendet. Vergessen die wirren Jury-Kommentare, die Kameras, die ständige Werbung und das Moderatoren-Gesülze. Das ist Kunst.