Mülheim/Ruhr. Die WDR-Doku „Fräulein Stinnes gibt Gas“ erzählt von Clärenore Stinnes’ Abenteuer: Mit 45 PS fuhr sie 1927 von Mülheim in die Welt.



Gerade 26 ist sie, da teilt Clärenore Stinnes ihrer Familie mit, sie wolle jetzt mal mit dem Auto um die Welt fahren. Nein, nicht allein, sondern mit drei Männern, die sie 48 Stunden zuvor erst kennengelernt hat. Eigentlich sind das gleich zwei Dinge, die 1927 undenkbar sind. Niemand hat so etwas zuvor gemacht. Nicht alleine, auch nicht in männlicher Begleitung. Der jungen Dame aus bestem Haus ist das egal. Konventionen haben sie noch nie interessiert. „Fräulein Stinnes gibt Gas“ und fährt „mit 45 PS von Mülheim um die Welt“.

Wer sie kennt, wundert sich nicht. Clärenore gilt als uneitel, unangepasst, dickköpfig und stolz. Ein Abenteurerin, die in den 20er-Jahren als beste Rennfahrerin Europas gilt. Ein junge Frau, die sich nie gefügt hat in die Rollen, in die Eltern und Familie sie stecken wollten. Nicht irgendeine Familie wohlgemerkt. Im Mülheim an der Ruhr jener Zeit kommen die Stinnes, dann kommt lange nichts. Und als ihr Vater Hugo 1924 stirbt, hat er einen der größten Industrie- und Handelskonzerne Europas geformt.

Tochter aus gutem Haus lässt sich von Sponsoren finanzieren

Die Tochter jedoch startet ohne elterliches Geld zu ihrer rund 47.000 Kilometer langen Reise um den Globus, lässt sich von Sponsoren finanzieren. Und sie knattert in einem serienmäßigen Adler Standard 6 hinein in eine Welt, in der es oft keine Tankstellen, manchmal nicht einmal Straßen gibt.

Mit dabei sind zwei Techniker und der schwedische Kameramann Carl-Axel Söderström. Nach Osten geht es. Istanbul, Damaskus, Bagdad. Über Gebirgspässe, die zu eng, Wüsten, die zu heiß, Steppen, die zu kalt sind. Über zugefrorene Seen, aufgeweichte Wege. Immer weiter, stets in Eile, fast ohne Pause, bald auch ohne Mechaniker. Sie können das Tempo ihrer Chefin nicht mehr mithalten. Söderström bleibt.

Starke Bilder einer fremden Kulturen

Zum Glück für ihn. Denn das deutsche Fräulein aus gutem Haus und der raue Schwede verlieben sich und heiraten einige Jahre später. Zum Glück aber auch für die Zuschauer. Denn es sind Söderströms Filme und Bilder, die diese Dokumentation tragen. So wie sie schon den Kinofilm „Fräulein Stinnes fährt um die Welt“ getragen haben. Seltene Einblicke in eine damals fremde Welt geben sie, zeigen Gegenden dieser Erde zu einer Zeit, in der von Infrastruktur oder gar Tourismus noch nichts zu spüren ist. Und lassen erahnen, wie beschwerlich und gefährlich dieser Trip war.

Anders aber als auf der großen Leinwand gibt es hier keine nachgestellten Szenen. Stattdessen sind Interviews mit Söhnen, Großnichten oder anderen Verwandten zu sehen. Und ein offenbar wiederentdecktes Interview mit Clärenore Stinnes selbst. 1986, vier Jahre vor ihrem Tod, erinnert sie sich an ihr größtes Abenteuer. Schlagfertig, unterhaltsam und immer noch mit diesem Selbstbewusstsein, das sie einst rund um die Erde führte.

Wem das alles nach den ersten Minuten bekannt vorkommt, der schaut möglicherweise öfter Arte. Denn unter dem Titel „Mit dem Auto um die Welt“ lief eine etwas längere Version dieser Doku dort im Dezember. Für den WDR haben die Autoren den Film noch einmal „dramaturgisch überarbeitet“, wie es auf Anfrage heißt. Das hat ihm zumindest nicht geschadet.


Fazit: Gelungener (Rück-)Blick auf eine Ruhrgebietspersönlichkeit.


• WDR, Freitag, 22. Januar, 20.15 Uhr