Berlin. Die Silvesternacht von Köln bewegt die Republik. Frank Plasberg ließ bei „Hart aber fair“ darüber diskutieren – es wurde sehr emotional.

Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hatte bislang nicht ausführlich zu den Übergriffen vor dem Kölner Hauptbahnhof Stellung bezogen – was bereits für leichtes Grummeln in der rot-grünen Koalition in Düsseldorf gesorgt hatte. Nun, zehn Tage nach den Ereignissen, suchte Kraft bei Frank Plasbergs Polit-Talk „Hart aber fair“ in der ARD die große mediale Bühne für ihren Auftritt. „Das tut mir richtig weh“, bekannte eine sehr emotional gestimmte Regierungschefin.

Zuvor hatte eine junge Frau, die an jenem Abend in Köln auf der Domplatte war, geschildert, wie sie von Männern beschimpft, begrapscht und sexuell bedrängt wurde: „Das Gefühl, es gab nur noch diese Männer in Köln. Polizei war nicht präsent.“ Sie habe sich hilflos, von allen allein gelassen“ gefühlt, berichtete die Frau.

„Es tut mir außerordentlich Leid“, reagierte Kraft auf die Schilderung.

Sie würde die betroffenen Frauen gern „um Entschuldigung bitten“, aber das helfe ja nicht. „Ich kann mich in die Situation der Frauen hineinversetzen“, erklärte Kraft. Da seien „über hundert Polizisten auf dem Platz und trotzdem ist da das Gefühl, da hilft mir keiner“.

Übergriffe bewegen Deutschland

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Hannelore Krafts persönlich-emotionales Statement ist in diesen Tage keine Ausnahme. Die Silvesternacht von Köln, Hamburg und anderen Städten, die Übergriffe auf Frauen, der Tatverdacht gegen Zuwanderer – all das beschäftigt die Menschen in Deutschland nicht nur, es bewegt sie. Da ist Wut. Und da ist Angst, man könne in eine ähnliche Situation geraten. Und die Debatte über die Straftaten zum Jahreswechsel wird verquickt mit der Debatte über Flüchtlinge und Asylbewerber. Ein explosives Gemisch, in das auch rechtsextreme Gruppen ihre fremdenfeindlichen Zutaten gießen. Doch was tun?

Zuerst einmal die Dinge beim Namen nennen. Das jedenfalls forderte Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft. Jeder Polizeibeamte wisse, er habe „eine politische Erwartungshaltung zu erfüllen, die gezüchtet wird“, berichtete Wendt in der Plasberg-Runde.

So dürfe die Polizei nicht mehr, wie früher, von „reisenden Roma-Gruppen“ reden, sondern stattdessen politisch korrekt von „Menschen mit häufig wechselndem Wohnort“. Wer die Dinge dagegen beim Namen nenne, werde „sofort in die rechte Ecke geschoben“, so Wendt.

Was Wendt nicht sagte, was aber im Sub-Ton mitschwang: Diese „Erwartungshaltung“ könnte womöglich der Grund dafür gewesen sein, dass die Kölner Polizei, die in ihrem Pressebericht am Neujahrsmorgen von fröhlichen und weitgehend friedlichen Silvesterfeiern vor dem Dom gesprochen hatte; von Übergriffen auf Frauen durch arabische oder nordafrikanische Männer stand da kein Wort. Ein interner Polizeibericht aus der Nacht, der an die Medien gelangte, zeichnete da ein völlig anderes Bild.

Es wird „nichts kaschiert“

Kraft hielt aber dagegen und wies den Vorwurf Wendts zurück, es gebe politische Vorgaben, wonach Polizeibeamte in ihren Berichten über Straftaten nicht vermerken sollen, dass sie von Ausländern begangen wurden. „Es gibt keinen solchen Erlass, wir schauen nicht daran vorbei.“ Es werde „nichts kaschiert, wir tun das nicht. Ich wehre mich gegen diesen Eindruck.“

Wie schon ihr Innenminister Ralf Jäger (SPD) zuvor bei seinem Auftritt vor dem Innenausschuss des Landtags in Düsseldorf kritisierte Kraft die Kölner Polizei. Es habe in der Silvesternacht „eine falsche Lageeinschätzung“ gegeben. Zwar seien mehr Beamte als in den Vorjahren zu Silvester auf dem Platz vor dem Hauptbahnhof präsent gewesen, aber während der Nacht sei keine Verstärkung angefordert worden: „Da ist was schief gelaufen.“

Klartext reden – das wollte nicht nur Rainer Wendt, sondern auch Kristina Schröder (CDU), ehemalige Bundesfamilienministerin. Sie kritisierte „patriarchalische Strukturen“ bei vielen Männern „mit arabisch-muslimischem Hintergrund“. Dieses Thema sei „lange tabuisiert worden“ in Deutschland, so Schröder. Da gebe es „Vorstellungen von männlicher Stärke und Ehre“, die sich in Köln in „blanker Frauenverachtung“ ausgedrückt hätten.

Und, so Schröder weiter, man müsse ansprechen, dass die „patriarchale Kultur eng verbunden ist mit einem religiösen Hintergrund“. Warum sich denn diese Strukturen gerade in muslimischen Ländern hielten, fragte die CDU-Politikerin. Wer diesen Punkt jedoch anspreche, über den werde „medial hergefallen“, konstatierte Schröder. Rainer Wendt nickte heftig.

Bemerkenswert war der Auftritt der Grünen-Politikerin Renate Künast.

Keiner hat die multi-kulturelle Gesellschaft so nachdrücklich und so engagiert propagiert wie die Grünen. Entsprechend schwer tut sich die Partei nun mit dem Fakt, dass zumindest in Köln bei den Übergriffen vor allem Männer mit Migrationshintergrund als mutmaßliche Täter im Fokus der Ermittlungen stehen. Die Grünen geraten argumentativ ins Schwimmen.

Keine Gruppe unter Pauschalverdacht stellen

Eine Straftat sei eine Straftat, so Künast, egal wer sie begehe. Aber keine Gruppe dürfe unter Pauschalverdacht gestellt werden. Und nun könne, wenn es um Gewalt gegen Frauen insgesamt gehe, „niemand mehr wegsehen in diesem Land“. Viel konkreter wurde Künast nicht, was den Polizeigewerkschafter Wendt sichtlich nervte. „Sie erzählen immer dasselbe, Frau Künast“, ging der die Grüne an. Die blaffte ihrerseits zurück: „Jetzt machen Sie hier nicht den großen Macker!“

Die erste Ausgabe von „Hart aber fair“ im noch neuen Jahr war ein Gewinn. Auch weil sie deutlich machte, dass Deutschland noch eine schwierige Debatte bevorsteht. Flüchtlingsstrom, Asylbewerberstau, Integration, Einwanderungsgesetz – all diese Stichpunkte gehören zu einem großen Themenkomplex, für den ein umfassender politischer Plan nicht erkennbar ist. Auf allen Seiten gilt es, noch so manche politische Kröte zu schlucken, sich zu verabschieden von lange Zeit gepflegten Denk-Modellen. Deutschland steht dabei erst am Anfang.