Essen. Nach acht Monaten TV-Saison ist es an der Zeit, im deutschen Fernsehen Bilanz zu ziehen: Nur wenige Formate, darunter viele Filme meist mit Krimi-Touch, stehen auf der Haben-Seite.
Die Sommerpause gibt den großen Programmanbietern Gelegenheit, über die Vergangenheit nachzudenken. Die Sommerpause? Ja: Sie beginnt im Fernsehen traditionell Anfang Juni und ist Anfang September vorbei. In dieser Hinsicht unterscheiden sich Privatsender und öffentlich-rechtliche Veranstalter nicht besonders, auch wenn bei ARD und ZDF und vor allem bei Arte auch zwischen Juni und August einige Erstausstrahlungen auf dem Programm stehen - und mit der Frauen-Fußball-WM auch aktueller Sport. Eine Bilanz der nun abgeschlossenen Fernsehsaison 2014/2015 in der Übersicht:
ARD: Gute Filme und "Tatort"-Krimis gehören zu den Stärken des Senderverbunds. Unter anderem sorgten die Wende-Komödie "Bornholmer Straße" mit rund sieben Millionen Zuschauern und die Romanverfilmung "Nackt unter Wölfen" für Gesprächsstoff, Diskussionen und gute Quoten. Bei den Abschieden vom Leipziger "Tatort"-Team, von Polizeimeister Horst Krause beim "Polizeiruf 110" oder beim Start des neuen Franken-"Tatorts" waren Millionen dabei. Ein paar davon hätte die ARD auch gerne für die neue Reportagereihe "#Beckmann" oder eine "Check"-Ausgaben am Montagabend gewonnen, doch der Sendeplatz bleibt eine Dauer-Baustelle.
ZDF: Auch für den Mainzer Sender gilt: Gute Filme - aber vornehmlich montags. Stark liefen der Zweiteiler "Tod eines Mädchens" mit acht Millionen Zuschauern oder der Dreiteiler "Tannbach - Schicksal eines Dorfes" zur Jahreswende. Großes Publikum hatte auch Markus Lanz zum finalen "Wetten, dass..?"-Akt am 13. Dezember mit mehr als neun Millionen. Johannes B. Kerner konnte mit seinen Showformaten, unter anderem "1000 - Wer ist die Nummer 1?" noch kein neues "Wetten, dass..?" installieren, auch wenn die Show nach dem Kollaps eines Kandidaten viel Wirbel erzeugte. TV-Koch Christian Rach fasste auch mit dem dritten Format ("Rach und die Restaurantgründer") noch keinen Fuß beim Sender.
RTL: Auf das Dschungelcamp "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!" war Verlass - mehr als sieben Millionen Zuschauer waren pro Folge dabei. Auch "Bauer sucht Frau" erwies sich als sichere Bank. Die anderen Showklassiker liefen eher lau, allen voran "Deutschland sucht den Superstar". Der Sieger, Severino Seeger, machte allerdings weniger durch musikalische Glanzleistungen denn durch sein Vorleben von sich reden. Die neuen Shows, "Rising Star" und "Adam sucht Eva - Nackt im Paradies", entpuppten sich als fade. Auch der Versuch, mit "Männer! Alles auf Anfang" oder "Block B - Unter Arrest" neue Serien zu etablieren, war nicht von Erfolg gekrönt.
Sat.1: Das große zentrale Projekt des Privatsenders hieß mit dem Start am 23. Februar: "Newtopia" - Eine neue Welt mit neuen sozialen und ökonomischen Regeln wollten 15 Kandidaten im brandenburgischen Königs Wusterhausen mitten in einer Scheune schaffen. Doch es kam alles anders: Nach einem quotenstarken Start bröckelte die Show vor sich hin, die Produktionsleitung griff in den Ablauf ein, es gab Handgreiflichkeiten und eine Kuh wurde krank. Die Geburt einer Nation lässt auf sich warten. Die bewährten Shows liefen unterschiedlich: "The Voice" schlug sich ordentlich, "The Biggest Loser" mau. Eine Enttäuschung war die Komödie "Die Staatsaffäre" mit Veronica Ferres als Bundeskanzlerin.
ProSieben: Dem Sender gelang es noch nicht, die Lücke, die "Wetten, dass..?" hinterließ, mit kreativen Leistungen zu schließen. Die neue Idee des Duos Joko & Klaas, "Mein bester Feind", stotterte beim Start zum Jahreswechsel. Und Stefan Raabs neue Showidee, vor fast einem Jahr in großem Rahmen verkündet, lässt auf sich warten. Der Tausendsassa wird mit RTL in Verbindung gebracht.
Vox: Vielversprechend startete vor kurzem die Mysteryserie "Outlander", auch die Neuauflage der Musikshow "Sing meinen Song" ließ sich gut an - einige Lizenzserien hat der Sender jedoch als Flop abgehakt.
Tele 5: Der Nischensender aus dem Imperium des Medienunternehmers Herbert Kloiber hat Mut zum Risiko - mit wechselndem Erfolg: Der Fußballtalk "Ultra - Aus Liebe zum Fußball" scheiterte grandios, der alkoholgeschwängerte Kneipentalk "Der Klügere kippt nach" hatte vielversprechende Momente.
Emotionale Momente der TV-Saison
Die Sommerpause steht an: Die endende Fernsehsaison war die, in der "Wetten, dass..?" zum letzten Mal lief - doch das wirkt schon lange her. In Erinnerung blieben auch das Nein des Siegers beim Vorentscheid zum Eurovision Song Contest, der Stinkefinger-Skandal von Jan Böhmermann oder der Finale-Abbruch bei "Germany's next Topmodel". Emotionale Momente der TV-Saison 2014/15, die im vergangenen Sommer begann - eine Auswahl:
EUROVISION SONG CONTEST: "Das ist ein Coitus interruptus der schlimmsten Sorte", sagte Moderatorin Barbara Schöneberger am 5. März in Hannover, nachdem beim deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest in der ARD der gekürte Sieger Andreas Kümmert überraschend sagte, er wolle gar nicht zum Finale des internationalen Musikwettbewerbs. Der Nein-Skandal wurde in sozialen Netzwerken zu "#Kümmertgate". Der mit Starruhm und den Medien hadernde "The Voice of Germany"-Sieger tauchte danach ab und ließ der Zweitplatzierten Ann Sophie ("Black Smoke") den Vortritt, die dann im Mai in Wien mit null Punkten ganz, ganz hinten landete. Das größte Grand-Prix-Debakel seit 50 Jahren, das die Betroffene aber locker zu nehmen schien.
GERMANY'S NEXT TOPMODEL: Witzchen über eine angebliche Kalorienbombe kursierten im Anschluss, nachdem am 14. Mai in Mannheim das Live-Finale der ProSieben-Show "Germany' next Topmodel" mit Heidi Klum nach einer Bombendrohung abgebrochen wurde. Die Halle wurde evakuiert, spontan ein Spielfilm ins Programm gehoben. Laut Sender und Polizei hatte eine anonyme Frau angerufen. Im danach in New York aufgezeichneten und am 28. Mai gesendeten Finale kürten die Juroren Heidi Klum, Wolfgang Joop und Thomas Hayo schließlich Vanessa (19) zur Siegerin.
GNTM-Abbruch: Zuschauer evakuiert
STINKEFINGER: Der ZDF-Entertainer Jan Böhmermann behauptete im März, ein umstrittenes Video mit dem griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis gefälscht zu haben. Der ARD-Sonntagstalk "Günther Jauch" hatte den Politiker mit einem alten YouTube-Video konfrontiert. Der Boulevard war erregt. Auf einem Festival in Kroatien 2013 zeigte Varoufakis demnach Deutschland den Stinkefinger, als er einen Vortrag über die Schuldenfrage hielt. Varoufakis sprach bei Jauch von einer Manipulation. Böhmermann bluffte danach unter dem Motto "#Varoufake" in alle Richtungen: "Die Unterstellung, dass das Video ein von uns manipulierter Fake-Fake-Fake-Fake-Fake sei, ist absolut haltlos. Niemals würden wir die notwendige journalistische Debatte über einen zwei Jahre alten, aus dem Zusammenhang gerissenen Stinkefinger und all diejenigen, die diese Debatte ernsthaft öffentlich führen, derart skrupellos der Lächerlichkeit preisgeben."
FLÜCHTLINGE: Ein Studiogast der Live-Talkshow "Günther Jauch" erzwang am 19. April eine Schweigeminute für Hunderte im Mittelmeer ertrunkene Flüchtlinge. Vor mehr als vier Millionen Zuschauern sprang der Aktivist Harald Höppner vom Sitz auf und wandte sich ans Publikum: "Man sollte in Deutschland eine Minute Zeit haben, um dieser Menschen zu gedenken." Jauch reagierte verdutzt. Bereits im November sorgte Kritik an der Asylpolitik in der ZDF-Kabarettsendung "Die Anstalt" für Aufsehen. Am Ende der Sendung trat der syrische Flüchtlingschor "Zuflucht" auf die Bühne und trieb Zuschauern Tränen der Rührung in die Augen. Motto: Satire mal wichtig statt witzig.
SPEZIALSENDUNGEN: Wegen schockierender Nachrichtenlagen gab es in dieser TV-Saison viele Sondersendungen. Der ARD-"Brennpunkt" zum Beispiel wurde im Januar viermal nach der 20-Uhr-"Tagesschau" rund um den Terroranschlag auf die "Charlie Hebdo"-Redaktion in Paris gesendet, Ende März gab es drei Tage hintereinander "Brennpunkte" zum Germanwings-Absturz in Südfrankreich.
DAS ENDE VON EUROPAS GRÖSSTER FERNSEHSHOW: "Das war's. Machen Sie's gut. Das Leben geht weiter - wetten, dass..?!" - So lauteten die letzten Worte von Markus Lanz in der letzten und 215. Ausgabe von "Wetten, dass..?". Der viel kritisierte Markus Lanz moderierte sie am 13. Dezember in Nürnberg. Nur fünf Monate danach hielt Altmeister Thomas Gottschalk, der sich im Rentenalter von 65 zu langweilen scheint, in einem dpa-Interview eine Rückkehr zu "Wetten, dass..?" für möglich: "Als Event einmal im Jahr könnte es funktionieren."
UND SONST? Wer sich in Deutschland vom Mainstream-Fernsehen und den großen Sendern verabschiedet hat, konnte sich zum Beispiel via Amazon an der preisgekrönten US-Serie "Transparent" über eine Transsexuelle mit Familie in Los Angeles erfreuen, bekam es beim Streaming-Dienst Netflix mit der dritten Staffel von "House of Cards" mit Kevin Spacey zu tun. Außerdem endete nach sieben Staffeln die Werbeagentur-Serie "Mad Men" in den USA und nach mehr als drei Jahrzehnten die Late-Night-Show von David Letterman, einer Art Vorbild von Harald Schmidt. Der kleine deutsche Privatsender Tele 5 lenkte derweil mit einem umstrittenen Trink-Talk die Aufmerksamkeit auf sich: mit Hugo Egon Balder als Kneipenwirt, Wigald Boning als Gastgeber und Hella von Sinnen als Stammgast. Promi-Gäste reden sich im Suff um Kopf und Kragen - so die Theorie. Show-Titel: "Der Klügere kippt nach".