Berlin. Hähnchen für 2,79 Euro, Milch für 55 Cent: Kunden wollen billig, Läden drücken die Preise – und der Bauer ist der Dumme. Ein lehrreicher Jauch-Talk.

Ein wütender Landwirt vom Niederrhein mischt Günther Jauchs Talkrunde um (zu) billige Lebensmittel auf. Doch Wut allein hilft nicht. Die muntere und unterhaltsame Diskussion zeigt – der Schlüssel liegt vor allem beim Verbraucher.

Da guckt Landwirt Willi Schillings ganz freundlich. Foto: Imago
Da guckt Landwirt Willi Schillings ganz freundlich. Foto: Imago © Unbekannt | Unbekannt

2,79 Euro fürs Hähnchen, 1,99 Euro für das Pfund Hackfleisch, 55 Cent für den Liter Milch - billig muss es sein, was in Deutschland auf den Tisch kommt. Dafür nimmt der Verbraucher dann auch Antibiotika im Fleisch in Kauf oder auch Tomaten, die eher nach Wasser schmecken als nach Tomaten. Die Supermärkte drücken die Preise und die Produzenten in der Landwirtschaft stöhnen über Erträge, die kaum noch die Kosten decken. Ist der Bauer, ohne den ja eigentlich gar nichts geht, der Dumme?

Wutbrief: Verbraucher wollen billig und haben keine Ahnung

Für den Landwirt Willi Schillings ist die Antwort klar: Das Problem ist der Verbraucher. Schillings hat vor drei Monaten einen Wutbrief ins Internet gestellt. Kernsatz des Textes, der es in sich hat: "Du, lieber Verbraucher, willst doch nur eines: billig. Und dann auch noch Ansprüche stellen! Du hast keine Ahnung und davon ganz viel."

 In zwischen ist der 60-jährige Schillings, für den die Arbeit als Bauer nicht nur Arbeit, sondern "Lebensgefühl" ist, pensioniert.  "Bauer Willi" vom Niederrhein ist zum Blogger geworden, der im Internet über Massentierhaltung, Pflanzenschutzmittel und Preisgestaltung in der Landwirtschaft schreibt.

"Die Leute in Deutschland sind schizophren", legte Schillings bei Jauch in der ARD denn auch gleich nach. Als Bürger sei er "entsetzt über Massentierhaltung und Kunstdüngereinsatz"; als Verbraucher greife im Supermarkt er zum Hühnchen für 2,79 Euro. "Billig kaufen und sich gleichzeitig aufregen", meckert Schillings, "das nervt mich wahnsinnig."

Deutsche geben deutlich weniger Geld fürs Essen aus

Die Fakten geben dem Mann Recht. 14 Prozent ihres Geldes geben die Deutschen im Schnitt für Lebensmittel aus - deutlich weniger als noch vor 30 Jahren. Die Republik ist zugepflastert mit 15.400 Discounter-Filialen - so viele wie sonst nirgendwo in Europa. Aldi, Lidl und Co. machen das große Geschäft.

Wie das aussehen kann, konnte ein Kollege von "Bauer Willi" anschaulich schildern: Timo Wessels, Milchbauer aus dem Brandenburgischen. Für jeden Liter Milch, den seine 530 Kühe im Stall geben, erhält er 27,5 Cent. "Ich bräuchte aber 34 Cent, allein um meine Kosten zu decken." Und weil er auch noch ein bisschen was verdienen möchte, fordert Wessels "mindestens 40 Cent pro Liter Milch". Bei einem Ladenpreis von aktuell 55 Cent pro Liter eine Illusion. Für Wessels ist klar: "Es gibt bei uns keine Marktwirtschaft bei Lebensmitteln." Stattdessen diktierten "wenige große Handelsketten" die Preise.

Das konnte natürlich nicht unwidersprochen bleiben. So verwies Jürgen Abraham, Gründer einer Wurstwarenfabrik, nicht zu Unrecht darauf, preiswerte Lebensmittel seien "eine soziale Leistung" für Arme. Und der Marketing-Professor und frühere Aldi-Bereichsleiter Thomas Roeb hielt vor allem Schillings vor, er romantisiere die Landwirtschaft, obwohl doch auch die Bauern in den letzten Jahrzehnten technisch mächtig aufgerüstet hätten, klimatisierte Traktoren inklusive. Und im übrigen, so Roeb: "Wir haben einen souveränen Verbraucher."

Und wer ist nun Schuld an "Geiz ist geil"? Alle!

Ist das also die Antwort auf Jauchs Frage? Ist der Kunde an Wurst- und Käsetheke derjenige, der mit seinem Kaufverhalten Preise und letztlich auch Qualität bestimmt? "Bauer Willi" ist sich da inzwischen nicht mehr so sicher wie vor drei Monaten, als er seinen Wutbrief gegen die Verbraucher veröffentlichte. Er glaubt jetzt: Erzeuger, Zwischenhändler, Geschäfte und Konsumenten tragen alle ihren Anteil: "Wenn man diesen Vieren auf die Füße treten würde, hätte man wohl alle Verantwortlichen getroffen", meinte Schillings am Ende der unterhaltsamen und informativen Stunde. Auf die Frage Jauchs, wie er denn die Chance einschätze, dass sich etwas ändere an der Misere, antwortete Schillings aber eher skeptisch: "Nach diesem Abend relativ gering."