Warschau/Lodz. Knapp zehn Jahre nach ihrem Unfall sitzt die Sängerin Monika Kuszynska im Rollstuhl. In diesem Jahr tritt sie für Polen beim Grand Prix an.
Als der polnische Fernsehsender TVP vor wenigen Wochen bekanntgab, dass Monika Kuszynska Polen beim Eurovision Song Contest (ESC) repräsentieren wird, war die Überraschung in der Musikszene groß. "Ich hoffe, nur, sie fühlt sich nicht als Marionette", schrieb die bekannte Popsängerin Doda auf ihrer Facebook-Seite. Doda soll sich selbst Hoffnungen auf den Grand Prix gemacht haben.
Eine Marionette will die 35-jährige Kuszynska nicht sein, auch wenn sie weiß, dass das Anderssein ihr zusätzliche Aufmerksamkeit bescheren wird. Seit einem schweren Unfall ist die in Lodz lebende Sängerin auf den Rollstuhl angewiesen. Derzeit stellt sie mit Gastauftritten in mehreren Ländern ihren ESC-Beitrag vor.
Kuszynska betont, sie wolle in Wien nicht auf einen Mitleidseffekt setzen, wenn sie ihre Pop-Ballade "In The Name Of Love" präsentiert. "Der Rollstuhl ist nicht, was mich ausmacht", sagte sie einem polnischen Frauenmagazin. "Im Inneren bin ich das gleiche Mädchen geblieben, das sich bemüht, sein Leben voll zu leben und seine Träume zu erfüllen."
Die Teilnahme ist einer der Höhepunkte ihres "neuen" Lebens
Trotzdem, die Eurovisions-Teilnahme ist einer der Höhepunkte des zweiten Lebens, der zweiten Chance der Sängerin, die seit mehr als 14 Jahren im Musik-Business ist und als Sängerin der Gruppe Various Manx populär wurde. Kuszynska genoss die Anerkennung, die Bewunderung, die Angebote für Fotoaufnahmen für Männermagazine. "Ich war schön, dynamisch, hatte eine tolle Figur - dieses Bild war sehr wichtig für mich", blickte sie in einem Zeitungsinterview auf die Zeit vor dem Unfall zurück.
Doch der Unfall im Mai 2006 nach einem Konzert änderte das Leben der jungen Frau: Eine schwere Wirbelsäulenverletzung, kein Gefühl mehr in den Beinen, jahrelange Rehabilitation, jahrelange Suche nach einer Heilung, nach einer Operation, die ihr ein Leben ohne Rollstuhl ermöglichen würde - vergeblich. Nach und nach baute sie ihr Leben wieder auf, verkaufte die alte Wohnung in der zweiten Etage ohne Aufzug und zog in eine behindertengerecht gebaute Bleibe.
Plötzlich zählten die kleinen Erfolge, etwa wieder Auto fahren zu können, selbstständig zu leben. "Das Aussehen hörte auf, das Wesentliche zu sein, wichtiger war mein Inneres", sagte sie.
2012 startete die Solokarriere
Ihre alte Band machte ohne sie weiter, fand eine neue Sängerin. Doch Jakub Raczynski, einer der Musiker, nahm wieder Kontakt auf. Aus Freundschaft wurde Liebe. Seit vier Jahren sind die beiden verheiratet, Raczynski spielt in Kuszynskas Begleitband und ist ihr Manager.
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2009 überredete eine Freundin Kuszynska, wieder Musik zu machen. Sie nahm das Lied "Ich werde wieder geboren" auf. Drei Jahre später startete sie mit dem Album "Ocalona" (Die Gerettete) ihre Solokarriere. Am Anfang habe sie Angst gehabt, ob das Publikum sie überhaupt noch sehen wolle, wenn sie nicht auf hohen Absätzen und im knappen Kleid über die Bühne tänzeln kann, gab sie zu. Inzwischen blickt sie nach vorn, auf den Auftritt in Wien. Sie scherzt sogar: "Ich habe Glück im Unglück, ich muss mich nicht mit komplizierten Tanzschritten abgeben."
Sie will keinen Mitleid-Bonus
Im Video zu "In The Name Of Love" kommt der Rollstuhl erst als Schlusspointe vor. Im Musiksalon eines Schlosses blickt Kuszynska auf ihr Leben zurück. Sie sortiert Fotos, die sie als junge Frau zeigen. Mit weißem Kleid liegt sie singend auf dem Parkett. Eingeblendete Videos zeigen frühere Bühnenauftritte. Erst am Ende sitzt sie neben dem Flügel im Rollstuhl und blickt dem Pianisten tief in die Augen.
Auch wenn sie keinen Mitleid-Bonus für Behinderte will, möchte Kuszynska mit dem Auftritt im Rollstuhl etwas demonstrieren: "Nicht der Rollstuhl begrenzt uns, sondern nur, wie wir darüber denken. Das ist die Botschaft, die ich seit Jahren in meine Musik und in alles, was ich mache, einbringe."
"Ich denke nicht darüber nach, ob ich gewinne", sagte Kuszynska vor wenigen Tagen über ihre Eurovisions-Teilnahme. "Denn hier geht es nicht um den Sieg, sondern darum ein Tabu zu brechen, dass die Teilung von Menschen in Gesunde und Behinderte etwas Künstliches ist, das niemandem nutzt." (dpa)