Mülheim. . Am Theater an der Ruhr zeigt Roberto Ciulli Eugene O’Neills Familien- und Drogendrama „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ – und zeigt auch die grimmige Freude, die abgründige Komik am derart umnebelten Dasein. Ein süchtigmachender Theaterabend.
Die Hölle, das sind die anderen. Das Elend aber hält die Familie Tyrone zusammen, der Suff und die Sucht. Am Theater an der Ruhr zeigt Roberto Ciulli Eugene O’Neills Familien- und Drogendrama „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ – und zeigt auch die grimmige Freude, die abgründige Komik am derart umnebelten Dasein.
Nebel gibt es ja wirklich zu Beginn, er wabert über die beiden beherrschenden Wasserbecken am Boden, in denen Schuhe, Bücher, Flaschen dümpeln (Bühne: Gralf-Edzard Habben). Eine Unterwelt, in der das Geräusch einsam fallender Tropfen akustisches Leitmotiv wird. Simone Thoma stöckelt als Mary Tyrone goldenen Fußes durch die Fluten, ein fragiles Feenwesen, dem Morphium verfallen. Daran hat ein Landarzt Schuld, der es ihr einst verschrieb, aber auch ihr Mann, ihre beiden lebenden Söhne und irgendwie auch der eine, der viel zu früh starb. Diese Mary schwankt zwischen Herzensleid und Gefühlskühle, mädchenhafter Koketterie und Macht-Impuls: Simone Thoma auf der Höhe ihres Könnens.
Vieles davon hat O'Neill selbst erlebt
Klaus Herzog als millionenschwerer, gleichwohl geiziger Patriarch James Tyrone trägt eine rote Nase im bleichgeschminkten Gesicht und krankt daran, aus Geldgier nicht der große Schauspieler geworden zu sein, zu dem er einst das Zeug hatte. Der ältere Sohn James (Fabio Menéndez) ist wie er dem Alkohol verfallen, der jüngere Edmund (Marco Leibnitz) leidet an Schwindsucht. Literaturnobelpreisträger O’Neill hat Biografisches verarbeitet: seine eigene Mutter war drogenabhängig, sein älterer Bruder James erlag dem Alkoholismus. Bevor O’Neill 1953 starb, verfügte er eine Sperrfrist für das Stück, dennoch wurde es bereits 1954 uraufgeführt.
Die Mülheimer Inszenierung zerrt das Drama nicht gewaltsam in die Gegenwart, sondern spürt dem Geist der Zeit nach und gibt zugleich Raum für sehr moderne, traumschön-spielfreudige Theatermomente. Da tanzt Marco Leibnitz in wilden Verrenkungen zu Weltuntergangsklängen der Doors („This Is The End“) durchs Wasser, da spielt er mit seiner Mama Hund, nur dass hier Hunde, die bellen, vielleicht doch beißen.
Ja, das alles ist bissig – und zugleich nicht ohne Komik.
Im Unglück vereint
Am Ende findet sich die ganze Familie zum Kinderspiel ein: „Muttermutter, wie weit darf ich reisen?“ Die Antwort, die das Stück gibt: nicht so sehr weit. Jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich; die Tyrones aber scheint das Unglück so zu einen, wie es das Glück vielleicht nie könnte: in Wahrheit und Wein, Schuld und Schnaps. Der gemeinsame Untergang ist gewiss, trinken wir darauf.
Langer Applaus für einen berauschenden Theaterabend mit Suchtfaktor.