Frankfurt. . Sieg der Poesie über das Politische: Der Nobelpreis für Literatur 2014 geht an den 69-jährigen Franzosen Patrick Modiano . Dem menschenscheuen Modiano dürfte die Nachricht vom Literaturnobelpreis nach Einschätzung seiner schwedischen Verlegerin einen gehörigen Schreck einjagen.

In seiner Heimat Frankreich ist der Romancier Patrick Modiano, der am Donnerstag mit dem Literaturnobelpreis geehrt wurde, längst ein Literaturstar. In Deutschland blieb der ganz große Erfolg für den 69-Jährigen bislang aus.

Modiano, 1945 in Boulogne-Billancourt geboren, entstammt einer jüdischen Familie. Das Judentum hat ihn, wie er betont, nicht sehr geprägt, wohl aber eine „chaotische Kindheit und Jugend“, die von der frühen Scheidung seiner Eltern bestimmt war. Mit der „Pariser Trilogie“ begann sein Schaffen, mit den Romanen „Abendgesellschaft“, „Außenbezirke“ und „Familienstammbuch“. Letzterem ist ein Zitat des Dichters René Char vorangestellt: „Leben heißt, beharrlich einer Erinnerung nachzuspüren“. Die melancholische Rückschau, die Trauer um längst Zurückliegendes prägt seine Romane, die nun von der Schwedischen Akademie als „sehr elegant“ gelobt wurden: Der Preis ist auch als Sieg der Poesie über das Politische oder vermeintlich historisch Gebotene zu verstehen.

Auch interessant

Melancholische Poesie

Dabei kann die Erinnerungsarbeit, wie im Debütroman „Place d’Etoile“, bei Modiano mit geschichtsträchtiger Wucht daherkommen: Ein junger Mann, Raphael Schlemilovitch, lebt im Paris zur Zeit des Nationalsozialismus und erfindet sich eine um die andere Biografie der Verfolgung. Bis man ihm auf der Psychiatercouch eine „jüdische Neurose“ zuspricht – eine Wendung ins Tragikomische, deren bitterer Witz scharf durch die poetischen Bilder und Sätze hindurchbricht.

Die Unbegreifbarkeit des Vergangenen kann bei Modiano aber ebenso das Gewand des Leichtfüßigen, geradezu Heiteren tragen. Wie etwa im „Café der verlorenen Jugend“. Die klingenden Namen seiner Heimatstadt Paris dienen Modiano immer auch als poetisches Stilmittel, seine Romane sind von der Geografie der Stadt mindestens ebenso geprägt wie durch ihre Figuren.

Modiano ist als Erzähler in einer solchen Straße beheimatet: in seiner melancholischen Poesie der Gegenwart entrückt, seinen Zeitgenossen kaum zuzuordnen. Die Sehnsucht, mit der Modiano sich um ein Erinnern bemüht, aber spricht uns heutigen Menschen vielleicht mehr aus der Seele, als wir wahrhaben möchten. Und so ist Modiano ein womöglich greifbarer, zugänglicherer Romancier als sein Landsmann Jean-Marie Gustave Le Clézio: Dass der Literaturnobelpreis, der 2008 an Le Clézio ging, zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre Frankreich ehrt, ist vielleicht eines dieser kleinen, schicksalhaften Wunder, von denen Modiano so gerne erzählt.