Bayreuth. Was passiert, wenn in Bayreuth ein Sänger kurzfristig ausfällt? Wir blicken hinter die Kulissen des Festspielbetriebes. „Der Lappen muss hoch“, so lautet das erste Gebot. “Dass eine Aufführung ausfällt, geht gar nicht“, sagt Peter Emmerich, der als Sprecher der Festspiele alles erlebt hat, was an Pech und Pannen passieren kann.

Hagen verliert die Stimme, und die Norne steckt im Stau. Vor diesem „Götterdämmerungs“-Szenario haben alle Theater Angst, die Bayreuther Festspiele nicht ausgenommen „Der Lappen muss hoch“, so lautete das Credo des langjährigen Festspielleiters Wolfgang Wagner. „Seine Töchter haben dieses Gebot übernommen. Dass eine Aufführung ausfällt, geht gar nicht“, erläutert Peter Emmerich. Seit 25 Jahren ist Emmerich Sprecher der Festspiele und hat entsprechend alles erlebt, was an Pech und Pannen passieren kann. Unsere Redaktion lässt er hinter die Kulissen des Betriebs blicken. Was geschieht also, wenn den Heldentenor zehn Minuten vor Beginn der Vorstellung die Kondition verlässt?

Die Antwort ist einfach: Auf dem Grünen Hügel ist jeder ersetzbar. „Für die wichtigsten Partien gibt es Cover, die man dafür extra engagiert. Diese Sänger sitzen hier bereit und müssen im Notfall sehr, sehr schnell fähig sein, aufzutreten“, schildert Emmerich. Das ist die eine Variante, aber nicht die gängigste, denn: „Wir achten bereits bei den Engagements darauf, dass jemand nicht nur eine Partie beherrscht, sondern auch andere.“

Kammersänger Wolfgang Schmidt ist ein verehrter Künstler, der alle Tenorpartien drauf hat. Als Siegfried Jerusalem im Bayreuther Heiner-Müller-„Tristan“ die Stimme schwand, sang Schmidt den dritten Akt aus dem Stand, während Jerusalem weiter spielte. Der Hagener Bassbariton Rainer Zaun ist 2011 im „Tannhäuser“ kurzfristig für den Biterolf eingesprungen. „Es gibt Inszenierungen, die so komplex sind, dass man nicht einfach jemanden hineinsetzen kann. Dann wird es heikler“, beschreibt Emmerich. „Dann muss jemand die entsprechende Partie von der Seite singen, aber das ist nur eine Notlösung.“

Überraschung auf der Festwiese

Wolfgang Wagner hatte seine eigenen Methoden, mit Krisen fertig zu werden. Peter Emmerich erinnert sich an eine „Meistersinger“-Inszenierung des Patriarchen, in der Peter Seiffert als Stolzing in der Schusterstube Probleme mit der Stimme bekam. „Das war in dem Jahr, als Robert Dean Smith hier begonnen hat, der war noch nie bei uns aufgetreten. Da war die Überlegung, wann und wie man ihn als Ersatz für Seiffert rein bringt. Kündigt man eine Unterbrechung an? Oder lässt man es laufen? Wagner hat dann entschieden, den Wechsel selbst zu übernehmen. Auf der Festwiese gibt es die Stelle ,Ist Jemand hier, der Recht mir weiß. Der tret als Zeug in diesen Kreis!’ Und da war die Überraschung im Publikum groß, als Wolfgang Wagner plötzlich auftrat, Dean Smith auf die Szene geleitete und dann noch eine Weile auf der Bühne stehen blieb, um zuzuschauen.“

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Am Theater geht es immer rund, man weiß nie was kommt. „In der Regel sind es Einzelvorfälle, das muss man dann lösen. Die Bühne ist ja ein lebendiger Organismus“, weiß Emmerich. „Aber es gibt immer die Sorge, dass das Unbekannte geschieht, das, was niemand vorhersehen kann. Die Panne am 25. Juli war weder vorhersehbar noch berechenbar.“ Ausgerechnet bei der festlichen Festspiel-Eröffnung blieb der Venusberg wegen eines technischen Defektes auf halbem Weg nach oben stecken. Die Vorstellung musste für eine Stunde unterbrochen werden. „Die Mitarbeiter und Zuschauer sind ganz ruhig und besonnen geblieben, das hat alles wunderbar funktioniert.“

Der verklemmte Venusberg zeigt, dass heute gar nicht mehr die Sänger mit ihren empfindlichen Stimmbändern das schwächste Glied in der Theaterkette sind. Richtig kritisch wird es inzwischen, wenn die Technik versagt. Emmerich: „Je komplizierter die technische Einrichtung einer Inszenierung ist, und die sind heutzutage sehr kompliziert, desto schwieriger wird es dann, das zu reparieren. Früher konnte man Kabelbrüche binnen Sekunden flicken, das ist heute nicht mehr so.“

Der Teufel steckt im Detail

Wagner-Sänger sind eine seltene Gattung; die großen Partien des Fachs beherrschen nur eine Handvoll Interpreten weltweit. Dennoch gibt es weit weniger Ausfälle, als man meinen sollte. „Die Sänger wollen auftreten. Egal, ob hier oder anderswo: Kein Künstler wird seinen Auftritt ohne Not absagen.“

Oberste Priorität hat der Schutz von Leib und Leben. Peter Emmerich: „Zwischenfälle kann man nie ausschließen. Aber was nach menschlichem Vermögen und all den zahlreichen Vorschriften getan werden muss, das wird getan. Ungeachtet dessen ist der Teufel ein Eichhörnchen, dafür ist es halt live.“ Der Lappen selbst dürfte in Bayreuth in jeder Lage hochgehen: „Den Vorhang kann man zur Not per Hand nach oben kurbeln.“