Essen. . Verdi war sein Lebenswerk. Die Vielzahl der großen Tenorrollen des italienischen Opernkomponisten haben nur wenige so stilvoll und differenziert zum Leben erweckt wie der große Carlo Bergonzi. Jetzt ist der Ausnahmesänger, eben 90-jährig, in Mailand gestorben. Pavarotti nannte ihn den Chef.

Er selbst nannte Verdi gerne „Papa“. Und was hätte dieser komponierende Vater an einem Sohn namens Carlo Bergonzi für eine Freude gehabt! Und dann kam Carlo noch aus der Nachbarschaft: Verdi und Bergonzi, beides Kinder der Emilia-Romagna. Jetzt ist der wohl größte Verdi-Tenor des 20.Jahrhunderts bei seinen Vätern. Seinen 90. am 13. Juli hat er noch gefeiert, kurz darauf kam Bergonzi ins Krankenhaus und kehrte nicht mehr zurück.

Wer war dieser Tenor aller Verdi-Tenöre? Ein Kritiker erklärte Bergonzis seltsamen Status zwischen sängerischer Einzigartigkeit und „erster zweiter“ Reihe augenzwinkernd so: Franco Corelli habe eben mehr Taille gehabt, Mario del Monaco mehr Theaterblut, Carreras mehr weibliche Fans, Domingo mehr Partien auf Lager und Pavarotti einfach den besseren Manager.

Bodenständig, geerdet, am liebsten auf dem Lande

Fürs disneyartige Marketingkarussell der drei Tenöre hätte der Sohn eines Bauern sich wenig geeignet, ziemlich klein, kompakt, geerdet, bodenständig. Dabei war Bergonzi auch 65-jährig noch in enormer Form. Als 1990 Pavarotti, Domingo und Carreras antraten, ihr Kapital in den Stadien der Welt als tenoralen Elfmeter zu verwandeln, hätte er mühelos Vierter im Bunde sein können. Noch Jahre später gab er Galas an Wiens Staatsoper und der Metropolitan Opera von New York. Aber am liebsten lebte er doch auf dem Lande, gab Gesangsunterricht oder schaute, wie sein schon in den 1960ern gebautes Hotel in Busseto sich machte. Bergonzi hatte es nach einer frühen Verdi-Oper benannt: „I Due Foscari“.

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Für Pavarotti war er nur der „Chef“

Pavarotti übrigens sprach nur als „Chef“ von ihm. Damit würdigte Big P. nicht allein die außergewöhnliche Technik, die es Bergonzi zuverlässig ermöglichte, traumschön schwebende Linien zu singen, dazu ein Legato von diskreter Eleganz. Geforderte Attacken ritt er nie als Angriff auf die eigenen Stimmbänder. „Chef“ war auch eine Verneigung vor Bergonzis Gabe, die Charaktere Verdis nicht schablonenhaft bloß als Edelmänner mit hohem C zu singen.

Eine umfangreiche, eigentlich zum Geburtstag erschienene CD-Box (siehe Info-Kasten) lässt hören, von welcher Meisterschaft Bergonzis Verdi war – gleich, ob er der lyrischen Klage eines Don Carlo die Stimme lieh oder dem ständchenbringenden Schwerenöter des „Rigoletto“-Herzogs.

Wahrhaftigkeit ging vor Effekt

Bergonzi respektierte Noten, was unter Tenören keineswegs Gesetz ist: Als einer der wenigen trompetete er Radames’ Liebeslied zur „Celeste Aida“ nicht testosterongetrieben heraus. Er schenkte der Arie am Ende das vorgeschriebene hohe Piano. Wahrhaftigkeit ging vor Effekt – auch dafür dankt ihm die trauernde Opernwelt.

Neu erschienen:

Die „Gramophone“-Jury hat Carlo Bergonzi 2000 für seine einzigartigen Verdienste um Verdi mit dem „Lebenswerk“-Preis ausgezeichnet. Eine eben erschienene CD-Box dokumentiert diese Leistung überwältigend.

„Carlo Bergonzi. The Verdi Tenor“: Decca, 17 CD. Ca 20 Stunden, ca. 40€. Gesamtaufnahmen von Aida, Traviata, Maskenball, Don Carlo, Rigoletto, Trovatore. Dazu sämtliche großen Tenor-Arien Verdis.