Essen. Der liebe Gott hat sie beide reich beschenkt: Fesche Latinos, dazu gesegnet mit den Weihen des hohen „C“. Eigentlich sind Juan Diego Flórez und Vittorio Grigolo als Tenöre keine Konkurrenten. Doch der Zufall lässt beide zeitgleich je ein französisches Album herausbringen. Was Stärken und Schwächen der Sänger offenbart.

Um einen weisen Lehrer zu zitieren: „Vergleichen Sie sie – und Sie werden merken, dass sie verschieden sind!“ Der kluge Satz, der auch ein Lied von der Vergeblichkeit der Kritik singt, lässt sich mühelos auf zwei Spitzentenöre unserer Zeit anwenden. Für ihre neuen Alben haben Juan Diego Flórez und Vittorio Grigolo teilweise, wenn auch gewiss nicht vorsätzlich, sogar gleiche Arien aufgenommen. Es regiert von Massenet bis Gounod das französische Repertoire. Und doch zeigen die zwei smarten Sänger sich so typisch von ihrer vermeintlich besten Seite, dass ihre Fan-Gemeinden kaum das Lager wechseln dürften.

Den Anforderungen der französischen Partien genügt Flórez ohne Mühe – ob er mit Massenets „Werther“ den Hauch des Frühlings in schlanker Melancholie besingt oder sich (an reichlich Belcanto geschult und entsprechend furchtlos-virtuos) mit Lust zum hohen D des „Postillon von Lonjumeau“ aufschwingt. Wir hören, wie bei seinen legendären Rossini-Aufnahmen, einen hellen, überwältigend strahlenden und durchweg druckfrei agierenden Tenor. Rein technisch, formal gewissermaßen, lässt sich vieles (von Boieldieus „Weißer Dame“ bis zu Thomas’ „Mignon“) heute kaum besser singen. Doch zeigen viele der Partien, die romantischen zumal, auch klarer als bisher Flórez’ Defizit. Seine Deutungen auf dem Album „L’Amour“ (CD, Decca, ca. 18 €) sind lupenrein, wirken aber auch seltsam unbeteiligt. Oft fehlt der Gestaltung Gefühl und Tiefe. Für eine der Liebe gewidmete Sammlung ist das nicht gerade eine quantité négligeable.

Was der eine noch brauchen könnte, hat der andere leider im Übermaß

Was dem schwarzgelockten Tenor aus den Anden abgeht, bringt sein stets gebräunter Kollege aus Arezzo bekanntlich im Überfluss mit. Vittorio Grigolo hält es vorwiegend umgekehrt: Seine überbordende Emotionalität (bisweilen nah am Gondoliere-Schmachten) ist überrumpelnd und damit in der Lage, auch technische Unvollkommenheiten wegzublenden.

Puristen verachten den Mann, der im Konzert auch schon mal das Sakko auszieht, um nicht allein vokal die Muskeln spielen zu lassen. Doch wäre es ungerecht, das Ranschmeißen zum einzigen Maßstab zu machen. Tatsächlich gelingen Grigolo als „The Romantic Hero“ (CD, Sony, ca. 18 €) überzeugende Momente. Er, der als Knabe im Chor der Sixtina für den Papst tirilierte, ist ein Kraftsänger, ein Bühnentier. Damit schenkt er Massenets „Cid“ und Gounods „Romeo“ packende Charakterfarben. Im Studio blitzt der Strahl des Tenors. Da ist üppig’ Glut in der bronzeschönen Stimme. Doch hört man von Bizets Blumenarie bis zur merklich unausgeglichenen Klage Werthers zugleich, wie gefährdet Grigolo ist. Glut geht vor Geschmack – und wo alles (wie bei ihm) großes Theater ist, geht der Feinschliff nicht selten über Bord.

Ein bisschen Luft nach oben

So bleibt bei beiden Stars ein bisschen Luft nach oben. Wenn man sich nur einen Tenor aus beiden backen könnte! Man nähme vom einen Perfektion, vom anderen Pathos. Aber so sind sie uns natürlich auch recht lieb.