Essen. Die Band will mit dem neuen Album „The Hunting Party“, das am Freitag, 13. Juni, erscheint, zurück zum harten Rock. Ein Gespräch mit Sänger Chester Bennington und Gitarrist Mike Shinoda über zuckrigen Pop, den herbeigeredeten Tod der Rockmusik und die Töchter von Barack Obama.
Am Wochenende standen Linkin Park noch beim letzten Rock am Nürburgring auf der Bühne, am Freitag schon erscheint ihr Album Nr. 6: „The Hunting Party”. Es verzichtet auf fast jede pop- oder gar dance-musikalische Spielerei und haut stattdessen mächtig in diverse Punk- und Metal-Kerben. Zu den Gästen zählen Rapper Rakim oder Tom Morello von Rage Against The Machine. Passend zum barschen und aggressiven Grundton des Albums war Frontmann Chester Bennington (38) beim Gespräch mit unserem Mitarbeiter Steffen Rüth schwer auf Krawall gebürstet, während sein Kollege Mike Shinoda (37) eher Beschwichtigung suchte.
Das neue Album hat einige wuchtige Nummern Richtung Hardcore und Punk. Wollt ihr dem Rock zurück in die Charts bringen?
Chester Bennington: Sagen wir so: Es gibt eine Lücke, und die wollen wir schließen. Den verunsicherten Kids, die gerade aufwachsen und sich nach Orientierung durch harte, substantielle Rockmusik sehen, wird aktuell rein gar kein Service geboten. Was sollen sie hören, wenn sie vielleicht nicht auf das ultrahärteste Zeug stehen und ganz gern auch eine Melodie hören und den Text verstehen wollen? „The Hunting Party“ sollte das Album sein, dass sich dieser Teenager anhört und anschließend sagt „Ich will Gitarre lernen. Ich will Schlagzeug lernen. Ich will auch so laut schreien können.“ Wir wollen, dass sich die Körper der Leute aufbäumen und explodieren, wenn sie diese Platte hören (lacht)
Verstehe ich das richtig, Ihr zielt auf Rock-Orgasmen?
Mike Shinoda: Das lasse ich gern so stehen. Uns ist klar, dass wir kein Black Metal machen und dass Stücke wie „Keys to the Kingdom“ oder „Wastelands“ zwar brachial sind, aber nicht annähernd zum Härtesten gehören, was jemals erscheinen wird. Dieser Anspruch wäre auch vermessen. Aber für uns ist „The Huntington Party“ sehr hart. Wenn wir hiermit dem einen oder anderen jungen oder auch nicht mehr ganz jungen Menschen die Schönheit der Rockmusik näher bringen können, dann haben wir erreicht, was wir wollten.
Woher dieser missionarische Eifer?
Bennington: Wir hassen den Gedanken, dass Rockmusik stirbt oder irrelevant wird. Die Entwicklung wollen wir aufhalten und umkehren.
Warum gerade Ihr?
Bennington: Weil wir es können. Uns war schon immer herzlich gleichgültig, welchem Genre wir angehören. Wir haben uns nie festgelegt und auf jedem Album die Richtung verändert. Trotzdem klingen wir immer wie Linkin Park. Wir halten es für ein spannendes Projekt, harten Rock wieder interessant zu machen, obwohl wir wissen, dass wir dabei auch Gegenwind bekommen werden, auch von vielen Radiosendern.
Ist das nicht ein bisschen dick aufgetragen zu sagen „Wir retten die Rockmusik, weil wir die großen Linkin Park sind“?
Band und Alben
Linkin Park, 1996 in Los Angeles als „Xero“ gegründet, benannte sich 1999 nach einem Lincoln Park.
Die Vorgänger des am Freitag erscheinenden Albums „The Hunting Party“: „Hybrid Theory“ (2000), „Meteora“ (2003), „Minutes to Midnight“ (2007), „A Thousand Suns“ (2010) und „Living Things“ (2012).
Bennington: Das ist mir scheißegal. Dieses Album ist unser riesengroßer Mittelfinger. Den zeigen wir all den Lügnern und Heuchlern da draußen, die so tun, als wären sie Rockmusiker. Dabei machen die doch alle nur noch Countrymusik mit etwas härteren Gitarren. Alternativ oder unabhängig ist da überhaupt nichts mehr. Wir sind zumindest insofern unabhängig, als dass wir nicht auf Verkaufszahlen schauen.
Weil ihr es nicht mehr nötig habt.
Bennington: Aber auch, weil es gleichgültig ist.
Shinoda: Alles, was im Moment populär ist, ist Süßkram. Die ganzen Charts bestehen aus Zucker. Das ist nicht gesund. Es gibt bei uns in L.A. jetzt mehrere dieser Restaurants, die Molekularküche anbieten, diese moderne Zeugs aus Schäumchen. Auf der neuen Platte haben wir ein ganz kleines bisschen Schaum, den einen oder anderen schrägen Moment, aber, um bei dem Essensvergleich zu bleiben: Es ist ein großer Teller voller Fleisch und Kartoffeln.
Woher rühren die zahlreichen Kriegsmetaphern in Songs wie „Wastelands“ oder „Keys to the Kingdom“? Ständig wird in den Texten gekämpft.
Bennington: So lassen wir Wut und Frust ab. Wir sind mittelalte Männer, die nicht nur in ihrem Wohlfühloasen leben, sondern mitkriegen, was auf der Welt schlecht ist. Wir sind die Stimme der angepissten Kids. Ich bin heute in einer ganz anderen Lebenssituation als zu Zeiten von „Hybrid Theory“, und doch gibt es immer noch viele Dinge, die mich total sauer machen.
Die kriegerischen Texte sind also ein Ventil, mit dem du deine Wut ablässt?
Bennington: Ja. Krieg ist Schwachsinn, eine antike, archaische Form der Streitschlichtung. Krieg ist, wenn ein Wolf einen anderen Wolf beißt, weil er auch ein Stück des erlegten Tieres abbekommen will. Als Menschen sollten wir über ein solches Verhalten längst hinausgewachsen sein, und doch benehmen wir uns oft wie die Höhlenmenschen, sobald uns nicht passt, was der andere macht oder sagt.
Chester, was sagen deine Frau und die sechs Kinder denn zum neuen Album?
Bennington: Ich glaube, die mögen die Platte ganz gern. Ich weiß es aber nicht, denn zugeben würden die das nie. Für meine Kinder bin ich Dad, und als solcher bin ich nicht cool, sondern da. Dads Band geil zu finden, gilt in der Schule als lahm. Das ist normal und bestimmt in anderen Berufen genauso. Ich würde gern von Barack Obama wissen, ob seine Töchter das abgefahren finden, dass ihr Vater Präsident ist. Ich schätze, es ist den beiden ziemlich schnuppe.