Washington. . Vor 60 Jahren schlug mit „Rock around the Clock“ die Geburtsstunde einer Musikbewegung. Sie begann allerdings mit einem Fehlstart für den fünffachen Familienvater Bill Haley und seine Comets. Und als sie nach Essen in die just eingeweihte Grugahalle kamen, begann für manche der Untergang des Abendlands.

Die Geburtsstunde des Rock‘n‘Roll heute vor 60 Jahren war im Grunde ein Ding der Unmöglichkeit. William John Clifton Haley, kurz Bill, war ein weißer, pummeliger Musiker, der zur Fliege ziemlich biederes Sakko trug und seine Stirnlocke mit Pomade und Wasser wie ein großes „C“ auf die Stirn drapierte. So als sei sie in Stein gemeißelt. Auf dem linken Auge war der in Michigan geborene fünffache Familienvater blind und mit seinen bald 30 Jahren für ein Teenie-Idol dramatisch zu alt. Lange Jahre tingelte er mit überschaubarem Erfolg als Countrysänger durch die Lande. Immer mit dem unangenehmen Gefühl im Bauch, dass ein früherer Job in einer Getränkefabrik eher dazu angetan war, verlässlich die hungrigen Mäuler daheim zu stopfen.

Das war die Ausgangskonstellation, bevor Bill Haley am 12. April 1954 in einem Ton-Studio in New York leicht erkrankt „One, two, three o’clock, four o’clock, rock!“ anstimmte und nicht ahnte, welche Revolution er damit auslösen würde. Decca, seine Plattenfirma, hatte kaum Vertrauen in das schmissige Stück mit dem Text von Max Freedman und Jimmy de Knigh. „Rock around the Clock“ wurde als B-Seite gepresst. Unter A lief „13 Women“. Ein Lied über einen Kerl, der davon träumt, allein in einer Stadt voller Frauen zu leben. Als wäre das die Lösung.

Zwei-Minuten-Muntermacher

Obwohl von Stil-Bildnern wie dem Radio-DJ Alan Freed ausgiebig berücksichtig, verkauft sich Haleys Zwei-Minuten-Muntermacher erst nur schleppend. Hollywood hilft nach. In „Blackboard Jungle“ („Die Saat der Gewalt“) muss sich Glenn Ford in der Bronx von New York als Lehrer renitenter Schüler erwehren, dargestellt unter anderem vom unerreichten Sidney Poitier. Peter Ford bearbeitet seinen berühmten Vater so lange, bis der grünes Licht gibt: Als Soundtrack für das Frühwerk des amerikanischen Jugend-Rebellentums wird „Rock around the Clock“ ausgewählt.

Ab dann gibt es kein Halten mehr. Acht Wochen lang steht das Lied auf Platz 1 der US-Plattenverkaufslisten. Die Mischung aus schwarzen R & B-Elementen, vorgetragen von einer weißen Männer-Band, die Botschaft, jung und wild zu sein und das Leben rund um die Uhr als Party zu begreifen, verbreitet sich wie ein Lauffeuer.

„Unzüchtig!“ – „Unmoral“

Und das piefige Eisenhower-Amerika wittert Ungemach. Radiostationen boykottieren den Song: „unzüchtig“. In Gottesdiensten wird vor „Unmoral“ gewarnt. Herr im Himmel, das alles wegen dieses handzahmen Tanz-Foxtrotts mit ein bisschen Off-Beat?

Vier Jahre nach dem „Erweckungserlebnis“ (Rolling Stone) erobert „Onkel Bill“ samt seiner „Comets“ auch das Wirtschaftswunderland jenseits des Atlantiks. Als der Haley‘sche Notenschweif am 28. Oktober 1958 Essens just eröffnete Grugahalle streift, immerhin der Tag, an dem Johannes XXIII. zum Papst gewählt wird, macht der „Rheinische Merkur“ einen „Generalangriff auf Geschmack, Anstand und Selbstachtung“ aus und kanzelt die Interpreten aus Amerika als „Komet der Triebentfesselung“ ab. Das Bürgertum hatte seinen Platon noch drauf: „Nirgends wird an den Weisen der Musik gerüttelt, ohne dass die wichtigsten Gesetze des Staates mit erschüttert werden.“

Halbstarke demolierten Stuhlreihen

Dabei hielten sich die Erschütterungen in Grenzen. Im Berliner Sportpalast demolierten lederbejackte und röhrenbehoste Halbstarke kurz zuvor bei einem Haley-Konzert diverse Stuhlreihen, das Kassenhäuschen und ein Klavier. Eine Generation, die vorher halb Europa in Schutt und Asche gelegt hatte und nun zu Liedern wie „Der lachende Vagabund“ von Fred Bertelmann oder Freddy Quinns „Ich bin bald wieder hier“ Entspannung suchte, empörte sich dennoch nach Kräften.

Vergebens. Gerockt wird immer noch. Rund um die Uhr.