Köln. Mit dem vorhergesagten Sieg von Ivana Müllers Performance "While we were holding it together" und einer Podiumsdiskussion ist das Festival Impulse zu Ende gegangen.
Aber ist die notorische Selbstausbeutung der Freien Szene wirklich das Schnittmuster dafür, wie man in den Stadttheatern mehr Kunst für die eingesetzten Subventions-Gelder erlösen könnte?
Steht ein Stuhl auf der Bühne und soll weg. Streiten sich drei Abteilungen: gehört er zum Bühnenbild? Zur Requisite? Oder gar zum Kostüm? Und weil man sich nicht einigen kann, bleibt er einfach stehen. Diesen alten Witz über die unproduktive Apparatur Stadttheater erzählte der Essener Dramaturgen Olaf Kröck auf der Abschlussdiskussion des Festivals Impulse "Die Wiedergeburt des Stadttheaters aus dem Geist der Freien Szene".
Trotz der vor einigen Jahren gegründeten Produktionszentren wie dem HAU in Berlin, Kampnagel in Hamburg oder dem FFT in Düsseldorf hat die Freie Szene hierzulande nach wie vor keine Lobby und bleibt ein Selbstausbeutungsmodell. Selbst erfolgreichste Gruppen hangeln sich Jahr für Jahr durch Projektförderungen, obwohl der Bund immerhin 14 Millionen Euro jährlich dafür ausgebe, wie Hortensia Völckers von der Kulturstiftung des Bundes zu Protokoll gab. Geld, das allerdings vornehmlich Festivals und Produktionszentren zu Gute käme.
Dabei bietet es durchaus Vorteile, nicht am Stadttheater zu arbeiten, dessen Zwänge in Deutschland seit Jahrzehnten beklagt werden. Ästhetisch gesehen komme etwas anderes heraus, so Impulse-Leiter Matthias von Hartz, wenn man keine Pflichtprobezeiten von acht Wochen hat oder Ensembleschauspieler zwangsbeschäftigen muss. Wenn man kein klassisches Stückrepertoire bedienen oder Diskussionen darüber führen müsse, wer einen Stuhl wegträgt.
Innovatives, kontinuierliches und kollektives Arbeiten
Wovon man in den den deutschsprachigen Ländern zumeist nur träumen kann - künstlerisch innovatives, kontinuierliches und kollektives Arbeiten über Monate hinweg, ohne Zwang zum vorgefertigten Theatertext – gibt es in den Niederlanden. Expressiv erzählte Marijke Hoogenboom, Professorin an der Amsterdamer School of the Arts, wie sich in Holland jeder, ob Oper oder kleinstes Künstlerkollektiv, alle vier Jahre neu um Gelder bewerben müsse. Jeder begegne sich auf Augenhöhe und alle Gruppen seien ständig in Bewegung. Dennoch existiert auch dort ein Bedürfnis nach Reformen: "Basisinfrastruktur" heißt ein Programm, das nach neuen Stadttheatermodellen sucht. Wie etwa im Tonnelhuis Antwerpen: dort entließ Intendant Guy Cassiers bei seinem Antritt das Ensemble, um kontinuierlich mit sieben Künstlern zu arbeiten, die ihre eigenen Leute mitbringen. Eine andere Möglichkeit bestehe darin, Häuser und Künstler getrennt voneinander zu fördern und dennoch zusammenzubringen: ein sehr flexibles Modell aus Rotterdam.
Wie utopisch eine derartige Liberalisierung der Szene in Deutschland auch erscheine, sinnvoller als die ewige Forderung nach mehr Geld sei sie allemal. "Man kann einem Künstler nicht 100.000 Euro geben und sagen, jetzt mach mal so etwas Schönes wie Jérôme Bel, das funktioniert nicht", so Hortensia Völckers. Auch gebe es ja, zumindest in NRW, Geldtöpfe, die eine Kooperation von Stadttheater und Freier Szene möglich machen sollen. Doch nicht einmal die jährlichen 150.000 Euro würden ausgeschöpft, berichtete Wolfgang Hoffmann, Leiter des Theaterreferats aus der Staatskanzlei NRW. Obwohl also mehr Geld zur Verfügung steht, als ausgegeben werden kann, hat seit Jahren keine Gruppe aus NRW mehr an den Impulsen teilgenommen. Ausgerechnet aus dem Bundesland, das sich rühmt, die größte freie Szene Deutschlands zu haben. Ob die deutschen Produktionsbedingungen also wirklich die Theaterkunst erschwerten, fragte Hortensia Völckers.
Naturgemäß ungeklärt blieb zuletzt, wie man in Deutschland den kreativen Geist der Freien Szene ins Stadttheater bringen könnte. Marijke Hoogenboom: "Ich habe das Gefühl, Deutschland war in der Strukturdebatte schon mal sehr viel weiter." Vielleicht bleibt einem im Moment ja wirklich nur der ebenso fromme wie utopische Wunsch, den ein Zuschauer vortrug: alle Stadttheater zu schließen, um sie mit dem gleichen Geld und neuen Strukturen wieder zu eröffnen.
Gute Produktionen setzen sich durch
Dass die freie Szene hierzulande dennoch nicht gänzlich verloren ist, zeigte sich bei der Preisverleihung. Fragt man nach den Kriterien, die bei der Auswahl der geladenen Stücke wohl ausschlaggebend waren, scheint nur eine Antwort plausibel: die größte mögliche Bandbreite an Theaterformen zu zeigen. Als wollte man mit aller Gewalt beweisen, dass jenseits der Stadttheater von Barockoper bis Kindertheater eben alles möglich ist.
Bei all dem Formengewirr gewann am Ende ein Stück den undotierten Impulse-Preis, das nach dem Urteil der Jury eine "vollendete", "einzigartige und anregende" Performance bot. "While we were holding it together" von Ivana Müller bleibt auf radikalste und klarste Weise einfach: meditatives, großartiges Kopftheater, bei dem fünf Schauspieler in erstarrten Posen auf der Bühne stehen und sich nur durch Worte in immer neue Kontexte setzen.
Einen weiteren Preis, der eine vom Goethe-Institut geförderte Auslandstournee ermöglicht, teilt sich Ivana Müller mit der Gruppe Showcase Beats Le Mot und ihrer charmanten Dekonstruktion der kindlichen Räuber Hotzenplotz-Rezeption, die "Kinder ernst nimmt, ohne sich ihnen anzubiedern".
Der mit 2.500 dotierte, neu gegründete Dietmar N. Schmidt-Preis schließlich geht an eine Schaumstoffpuppe mit "verranzter Grazie": nämlich an Leon den Profi von der Puppenspielercrew "Das Helmi".
Auch wenn man David Martons poetischer Neuerfindung der Opernregie "Fairy Queen" von Herzen ebenfalls einen Preis gegönnt hätte: letztlich haben sich gute Produktionen durchgesetzt. Dass es - neben der von Marton - in diesem Impulse-Jahrgang fast die einzigen überzeugenden Arbeiten waren, darüber muss vielleicht noch einmal an anderer Stelle diskutiert werden.
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