Castrop-Rauxel. . Der Käfer versinnbildlicht die Psychose, die verschreckte Familie hockt als Schattenbild hinter Tüchern: Das Westfälische Landestheater Castrop-Rauxel zeigt Kafkas „Verwandlung“ als requisitenfreies Psychodrama.

„Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.“ Der erste Satz von Kafkas „Verwandlung“ klingt lapidar, unwiderruflich. Denn der Prozess der Verwandlung ist bereits abgeschlossen. Es gibt keine Einflussnahme auf das, was geschehen ist, kein Zurück. Gregor Samsa wird nicht entkommen. Er ist eine dicke, schwarze Käferlarve geworden.

Und dennoch steht auf der Studiobühne des Westfälischen Landestheaters (WLT) in Castrop-Rauxel ein Mann in grauem Zwirn. Ausstatter Manfred Vondrlik stellt sich so wohl einen Handlungsreisenden von vor einhundert Jahren vor. Und es ist nicht nur ein Mann - die Solorolle ist gleich doppelt besetzt, bei gleichem Outfit. Mal ist Bülent Özdil der Samsa, und Thomas Zimmer erzählt dessen Geschichte (ist also Kafka), mal läuft das umgekehrt, Zimmer ist, und Özdil erzählt. Die Texte verknoten sich, der Einstieg erinnert an eine kräftige barocke Tokkata, gesprochen. Dieses Spielmuster bleibt bis zum Ende der Vorstellung gewahrt.

Die Zuhörer müssen also die Ohren spitzen. Sie hören den vollen Text, müssen aber trotzdem sorgfältig achtgeben, wer da was sagt. Vor allem was.

Aufbruch ins Angstfreie

Es gibt aber noch die zweite Ebene, die einer alltäglichen, doch verborgenen Realität. Denn die verängstigten, gehetzten, verletzten Samsa / Erzähler nehmen nicht nur sich selbst, sondern auch die vermeintlich normale Welt der feindlichen Familie wahr. Die wird als Schattenspiel hinter herabhängenden Gazen zelebriert, das wirkt bürgerlich-geordnet, aber auch erschreckend. Eine kleine Video-Projektion lässt gelegentlich eine Hand das Ungeziefer ins Schattenbild schieben, der Käfer verkörpert natürlich den Inbegriff von Angst, die Psychose. Reale Requisiten kommen, von einem Wassereimer abgesehen, gar nicht vor.

Um welche Ängste es bei Kafka geht, ist Sache der Interpretation(en) des Textes, Ralf Ebelings Inszenierung verzichtet auf Festlegungen. Einen Schritt zum Verständnis bietet der Schluss auf der Bühne. Samsa, von einem väterlichen Apfelwurf getroffen, stirbt. Die erleichterte Familie bricht zu einem Straßenbahnausflug auf. Da verlassen die Schatten-Schauspieler ihre Verstecke hinter den Tüchern und treten vors Publikum. Sie brechen ins Angstfreie auf.

Die Aufführung - Premiere war am Freitag - wandert als Gastspielangebot in der nächsten Spielzeit durch NRW.