Rom. . Regenfälle und Erdrutsche setzen Italiens archäologischen Stätten und Städten zu. Doch die Vorbeugung gelingt selbst dort nicht, wo Geld da ist. Warum in Pompeji Gebäude einstürzen und in Volterra Straßen gesperrt werden müssen: eine Reise durch Italien.
In Pompeji steht wieder eine Mauer weniger. Der überaus heftige Winterregen, sagen sie, sei schuld. Das Wasser, das die Wand unterspült habe. Nun gut, diesmal war’s nur ein modernes Bauwerk, Teil einer offenbar schlampigen Restaurierung, aber in der antiken Ruinenstadt ist jede neue Ruine eine zuviel. Und nach jedem Fall in Pompeji erhebt sich nationale wie internationale Hysterie: Italien lässt ein Kulturerbe verfallen, das nicht ihm, sondern der Welt gehört! „Jeden Zusammenbruch in Pompeji empfinde ich als enorme Niederlage”, ruft aus Brüssel der EU-Regionenkommissar Johannes Hahn. Und Gian Antonio Stella vom „Corriere della Sera“, eine journalistische Autorität im Kampf gegen den Verfall seines Landes, schlägt bereits vor, Pompeji „von Leuten verwalten zu lassen, die das besser können als wir“.
Pompeji ist ein Reizwort. Es ruft Beißreflexe, Bestürzung oder Aufmerksamkeit genauso unfehlbar hervor wie jedes mittlere Hochwasser in Venedig. Und so passiert folgendes: Über Pompeji, das schon jetzt 70 Prozent der Einnahmen behalten darf, die es aus dem Verkauf von jährlich etwa 2,5 Millionen Eintrittskarten erzielt, prasselt aus Rom und Brüssel jetzt auch noch ein Geldregen hernieder, der den neuen Superintendenten, Massimo Osanna, die Hände überm Kopf zusammenschlagen lässt: „105 Millionen Euro! So viel können wir ja gar nicht ausgeben!”
Für die zahllosen anderen Schäden indes, die der Winter angerichtet hat, interessiert sich außerhalb ihres lokalen Umfelds keiner. Fatalistisch nimmt Italien nur die Statistiken zur Kenntnis: danach sind 82 Prozent der Gemeinden von wasserbedingten Katastrophen bedroht, von Überschwemmungen und Erdrutschen also; gefährdet sind mehr als 16 600 Kulturgüter.
Volterra ist so ein Beispiel. In der toskanischen Stadt, einer 2500 Jahre alten Etrusker-Gründung, die jetzt auch Weltkulturerbe werden will, sind Ende Januar mehr als dreißig Meter der monumentalen mittelalterlichen Stadtmauer ins Nichts gestürzt, und kürzlich ist ein zentraler Bergsporn einfach so zerbröselt. Die Abbrüche fressen sich an die etruskische Akropolis heran, sämtliche Straßen, die auf Volterras Höhenrücken führen, sind beschädigt.
„Pompeji ist eine tote Stadt, aber hier trifft’s die Lebenden. Und wer hilft uns?” rief ein Chefarzt aus Volterra vor den Ruinen aus. Was die Gründe für das Desaster betrifft, liegen die beiden Städte gar nicht weit auseinander. Die Schuld, darin sind sich alle Experten einig, liegt bei der Sorglosigkeit der italienischen Kommunalverwaltungen generell, bei der fehlenden Untersuchung des Terrains, bei der unterlassenen Vorbeugung. Volterra ist Erosionsgebiet par excellence. Gleichwohl wurden hier neuere Stadtviertel auf bekannte Erdrutschzonen gebaut.
Während Pompeji im Geld schwimmt, zur täglichen Erhaltung von 44 Hektar Bausubstanz aber nur fünf (!) Arbeiter zur Verfügung hat – so wenige sind laut Gewerkschaftsangaben nach den Streichungen im Öffentlichen Dienst übrig geblieben –, fehlt es Volterra und den anderen italienischen Gemeinden an Geld für Investitionen. Der laufende Betrieb und das Personal verschlingen fast alle verfügbaren Mittel.
Der staatliche Zivilschutz allerdings zeiht die Gemeinden auch der Verantwortungslosigkeit: Erst die wenigsten hätten die gesetzlich vorgeschriebenen Katastrophenschutzpläne erstellt – geschweige denn untersucht, welche Gefahren am Ort tatsächlich drohen.
So ist auch eine kuriose Situation entstanden: Fünf Jahre, nachdem Italiens Regierung für Vorsorgemaßnahmen gegen wasserbedingte Katastrophen 2,1 Milliarden Euro bereitgestellt hat, haben die Gemeinden erst vier Prozent davon abgerufen. Gut, weitere achtzehn Prozent würden derzeit verbaut, teilt der Städte- und Gemeindetag mit. Aber für mehr als drei Viertel der Gelder gibt es immer noch keine Interessenten.
Noch krasser ist das Verhältnis unterm Vesuv. Vor drei Jahren wurden, mit großem Pomp, 105 Millionen Euro für das „Projekt Groß-Pompeji“ ausgelobt (davon trägt 74 Millionen Euro die EU). Bis heute allerdings sind erst 588 000 Euro ausgegeben, ganze 0,56 Prozent.
Die Gelder waren leider nicht gedacht zur Aufstockung des für die alltäglichen „kleinen“ Erhaltungsarbeiten notwendigen Personalbestands. Sie bleiben reserviert für prestigereiche Sanierungs-, Restaurierungs- und sonstige öffentliche Baumaßnahmen, und diese kommen – wie überall in Italien – aus mehreren Gründen nicht vom Fleck: Entweder mangelt es den Bauträgern an der Fähigkeit zum Ausformulieren konkreter Projekte. Oder diese bleiben, weil tausend Stellen mitzureden haben, in den Netzen der Bürokratie hängen. Oder die vorgesehenen Auftragsvergaben sind nicht kompatibel mit den politisch-gesellschaftlichen Regeln gerade süditalienischer Klientelwirtschaft. Oder ein abgewiesener Bewerber klagt, worauf Verwaltungsgerichte dazu neigen, nicht nur angefangene Baustellen zu beschlagnahmen, sondern ganze Bauprozesse auf Jahre hinaus zu blockieren.
Kompetenzgerangel und das Hin- und Herschieben von Verantwortlichkeiten kommen hinzu: Wem zum Beispiel „gehören“ die Stadtmauern von Volterra: dem Bürgermeister oder dem Kulturministerium? Zur Stunde weiß das keiner. In Italien weiß man bei jedem Unglück nur eines: schuld ist immer der andere. So kommt ein Land herunter, im wahrsten Sinne des Wortes.