Wuppertal. .

Nun stimmt es doch: An der Wuppertaler Oper wird es in der kommenden Spielzeit keinen einzigen fest angestellten Sänger geben. Die Stadt Wuppertal hatte dies mehrfach dementiert. Der neue Wuppertaler Opernintendant Toshiyuki Kamioka bestätigte gestern erstmals öffentlich: „Es wird keinen Festvertrag NV Solo ganzjährig geben.“ Man arbeitet künftig ausschließlich mit Gastsängern.

Kamiokas Co-Intendant Joachim Arnold verteidigt diese Strategie, die den viel gerühmten Ensemblegedanken des deutschen Stadttheaters ad absurdum führt, indem er den Verzicht auf Festverträge geradezu als Fürsorge gegenüber den Sängern verkauft. „Es gibt niemanden von den jungen Sängern, der sich gewünscht hat, für ein Jahr fest nach Wuppertal zu kommen“, bezieht er sich auf das neu eingerichtete Opernstudio, das Kamioka ins Leben ruft. Und weiter: „Wir machen große Oper. Sie können keine Tosca in einem ganzjährigen Vertragsverhältnis binden.“

Die Wuppertaler Absage an den Ensemblegedanken ist in den vergangenen Monaten heftig kritisiert worden. Jüngst kamen die Bühnen zusätzlich in die Schlagzeilen, weil ein Musical über die Neujahrszeit eingekauft werden sollte, das von der Firma Musik & Theater Saar produziert wird. Die gehört ausgerechnet dem neuen Co-Intendanten Arnold. Die Gewerkschaft ­Verdi warf daraufhin der designierten Opernführung sogar Korruption vor. Doch das Musical ist gestrichen. „Es gibt keine strafrechtliche Relevanz, das haben wir untersuchen lassen“, so Wuppertals Oberbürgermeister Peter Jung als Vorsitzender des Aufsichtsrates der Bühnen. „Aber wir haben gleichwohl geraten, auf das Musical zu verzichten.“

Auch die Operette wird abgeschafft

Mit seinem ersten Opernspielplan geht Kamioka, der beliebte Chefdirigent der Wuppertaler Sinfoniker, auf Publikumsfang. Tosca, Don Giovanni, Parsifal, Salome und Bachs Johannespassion szenisch: „Das ist der mutloseste Spielplan, den ich je erlebt habe“, kommentiert ein Journalist bei der Pressekonferenz die Auswahl. „Ich bin abhängig von den Zuschauerzahlen, ich gehe auf Sicherheit“, kontert Kamioka, der das Reden lieber seinem Co-Intendanten überlässt. Neben dem Ensemble-Gedanken wird gleichzeitig damit auch die Operette in Wuppertal abgeschafft.

Kamioka will drei der fünf Produktionen selbst dirigieren, damit begründet man, dass hinter der Bühne auch alle Kapellmeister- und Korrepetitorenpositionen wegfallen. Ein Spielleiter, ein Pianist, zwei Mädchen für alles von der Pädagogik bis zum Marketing und anderthalb Inspizientenstellen bleiben übrig.

Die Ensemblekultur am deutschen Theater basiert auf einer Mischung von jungen und erfahrenen Sängern, in den großen Partien gegebenenfalls ergänzt durch Gäste. Festverträge ermöglichen es jungen Künstlern erst, ihr Talent in aller Sorgfalt aufzubauen und von den Älteren das Geschäft zu lernen - von der ersten kleinen Rolle bis zu Partien wie einem Tannhäuser oder einer Isolde kann es bis zu 15 Jahren dauern. Viele Entdeckungen sind dieser Kultur zu verdanken, so konnte Startenor Johan Botha zum Beispiel in Hagen erstmals seine große Begabung zeigen. Gleichzeitig sind die fest engagierten Sänger auch außerhalb der Bühne in der Regel in ihren Städten aktiv, als Solisten in der Kirche oder bei Konzerten von Gesangvereinen beispielsweise oder mit ehrenamtlichem Engagement in sozialen Einrichtungen.

Große Namen eingeplant

Die italienischen Opern sind als erste vom Ensemble-Prinzip abgewichen und haben das Stagione-System eingeführt: Das bedeutet, die Teams werden komplett für eine Inszenierung eingekauft und proben und spielen im Block. Joachim Arnold will den Wuppertalern den Verzicht auf das eigene Ensemble mit großen Gast-Namen versüßen: Philipp Harnoncourt inszeniert die Johannespassion, Tilmann Unger gibt sein Deutschland-Debüt als Parsifal. „Bei der geringeren Vorstellungszahl“, begründet Kamioka die Ablehnung von Festverträgen. „Es gibt ja auch noch das Tanztheater und das Schauspiel im Opernhaus.“ Arnold ergänzt: „Wir haben ein Ensemble in einer modernen Version des 21. Jahrhunderts, als Gemeinschaft, die für ein bestimmtes Projekt zusammenarbeitet.“

Enno Schaarwächter, Kaufmännischer Geschäftsführer der Bühnen, kann wenigstens ein innovatives Signal aus Wuppertal vermelden. Während die Kartenpreise auf den teuren Plätzen steigen, wird es in Zukunft im Rang drei bis vier Reihen geben, auf denen alle Bürger für einen Einheitspreis von acht Euro in die Oper gehen können.