Berlin.. Richard Linklater galt mit seinem „Langzeitspielfilm“ „Boyhood“ als einer der Favoriten bei der 64. Berlinale. Und auch die deutschen Beiträge wurden beim Wettbewerb hoch gehandelt. Am Ende fühlte sich die Jury vom asiatischen Kino am meisten berührt. Goldener Bär für „Schwarze Kohle, dünnes Eis“ aus China.
Bei jeder Berlinale gibt es diesen magischen Moment, da man auf der Leinwand plötzlich einen Film sieht, der einen alle Mühen der vergangenen Festivaltage vergessen lässt. In diesem Jahr geschah das kleine Wunder am achten Tag der Filmfestspiele, erfasste nicht nur ein jubelndes Publikum, sondern trieb sogar die internationale Filmkritik zu rauschhaften Hymnen an.
Die Rede ist von Richard Linklaters „Boyhood“, den man am ehesten als „Langzeitspielfilm“ charakterisieren kann. Über zwölf Jahre hinweg, von 2002 bis 2013, hat dieser Freund ausgedehnter Beobachtung (man denke nur an die 18 Jahre umfassende „Before“-Trilogie) das Erwachsenwerden zweier fiktiver junger Menschen mit den immer gleichen Schauspielern beobachtet.
Den „Goldenen Bären“ hat „Boyhood“ natürlich nicht bekommen, denn selten tickt die Jury bei der Berlinale im gleichen Rhythmus wie ihr Umfeld. Linklater musste sich bei der Preisverleihung am Wochenende mit der „Besten Regie“ begnügen, was gar nicht mal so verkehrt scheint.
Nur insgesamt unglaubliche 39 Drehtage benötigte dieser texanische Autorenfilmer, um vom Leben zwischen Grundschule und College zu erzählen, von Trennungen und verwehenden Träumen. Noch nie wurde im Spielfilm auf eine derart geduldige Art dem Leben beim Fortschreiten zugeschaut, noch nie derart genau die Veränderungen im Familienbund registriert.
Goldener Bär für „Schwarze Kohle, dünnes Eis“
Die Jury unter Leitung des Produzenten James Schamus fühlte sich hingegen stärker vom asiatischen Kino berührt. Mit „Schwarze Kohle, dünnes Eis“ von Yinan Diao geht der „Goldene Bär“ an einen chinesischen Beitrag, der inspiriert ist von der „Schwarzen Serie“ Hollywoods in den Vierzigern. Es geht um Leichenteile, einen Serienmörder und einen unehrenhaft entlassenen Polizisten, der sich bei seinen Nachforschungen in die gefährliche Nähe des Täters begibt. Wesentlicher aber als die eher kühl servierte Handlung sind die Bilder einer freudlosen Stadt ohne Identität, dafür aber voll mit tristem Schneematsch.
Als hätte dieser Preis als Würdigung eines neuen chinesischen Filmschaffens nicht gereicht, legte man noch einen Silberbären für den Hauptdarsteller Liao Fan obendrauf. Ihm zur Seite als beste Darstellerin gesellte man die zarte Haru Kuroki, Hauptfigur in dem japanischen Weltkrieg-2-Film „Das kleine Haus“ des Regie-Veteranen Yoji Yamada. Zumindest Liebhaber japanischen Lebensstils kommen in diesem altersmilden Film voll auf ihre Kosten. Als „Herausragende künstlerische Arbeit“ stufte man „Blind Massage“ von Lou Ye ein, der in China ein fünfjähriges Berufsverbot hinter sich hat. Sein neuer Film, diesmal politisch abgesegnet, erzählt von kleinen Dramen in einem seriösen Massagesalon, der nur von Blinden betrieben wird.
Berlinale etabliert sich als Präsentationsort des Weltkinos
Der deutsche Film, vierfach im Wettbewerb vertreten und hoch gehandelt, wurde mit einem Trostpflaster abgefunden. Anna und Dietrich Brüggemanns bewegende Teenager-Passion „Kreuzweg“ mit einem Preis für das beste Drehbuch abzutun, schlägt fehl bei einem Film, der vor allem durch seine strenge Optik beeindruckt und durch das intensive Spiel von Lea van Acken als zwischen Religion und Pubertät zerrissenes Mädchen, das sich bewusst auf den Weg in den Tod macht.
Immerhin war die 64. Berlinale ein passables Festival, das sich inzwischen als Präsentationsort des Weltkinos versteht. Die „Special“-Reihe des offiziellen Programms entwickelt sich zu einem Festival im Festival. Angesiedelt im Friedrichstadtpalast werden dort attraktive neue Filme gezeigt, die Starauftritte garantieren. Und woran man sich gewöhnen muss, das sind die langen Vorspänne der Filme im Wettbewerb. Bis zu 20 weltweite Förderinstitutionen und TV-Kanäle werden da genannt, die am Zustandekommen beteiligt waren. Da erstaunt es nicht, dass die Filmstiftung NRW als Geldgeber eines durch und durch griechischen Auftragskiller-Dramas erscheint.
Die Gewinner im Überblick:
GOLDENER BÄR:
- „Bai Ri Yan Huo“ (Schwarze Kohle, dünnes Eis) von Yinan Diao (China)
SILBERNER BÄR, GROSSER PREIS DER JURY:
- „Grand Budapest Hotel“ von Wes Anderson (USA)
SILBERNER BÄR FÜR DIE BESTE REGIE:
- Richard Linklater für „Boyhood“ (USA)
SILBERNER BÄR FÜR DIE BESTE DARSTELLERIN:
- Haru Kuroki in „Chiisai Ouchi“ (Das kleine Haus) von Yoji Yamada (Japan)
SILBERNER BÄR FÜR DEN BESTEN DARSTELLER:
- Fan Liao in „Bai Ri Yan Huo“ (Schwarze Kohle, dünnes Eis) von Yinan Diao (China)
SILBERNER BÄR FÜR HERAUSRAGENDE KÜNSTLERISCHE LEISTUNG:
- Jian Zeng - Kamera in „Tui Na“ (Blinde Massage) von Ye Lou (China)
SILBERNER BÄR FÜR DAS BESTE DREHBUCH:
- Anna und Dietrich Brüggemann (Deutschland) für „Kreuzweg“