Essen. . Liebe ist alles: Wir stellen Bücher vor, die von den ganz großen Gefühlen erzählen – federleicht oder tiefsinnig, romantisch oder auch tragikomisch. Die Werke der Autoren Navid Kermani, Ann Cotten, Diego Galdino, Thomas Klugkist und Lloyd Jones dürfen aber nicht nur von Verliebten gelesen werden.

„Sie küssten nicht, sie wurden geküsst.“ So beginnt, am 31. Tag von 100 frohen und verzweifelten, eine jahrtausendealte Liebesgeschichte – die von persischen Dichtern besungen und doch vor dem Hintergrund der friedensbewegten, wollpullidurchwirkten 80er-Jahre ausgebreitet wird. Navid Kermani, Kölner Autor mit iranischen Wurzeln, verbindet Kulturen und Zeitalter, wenn er von der großen Liebe eines fünfzehnjährigen Gymnasiasten zur „Schönsten“ des Schulhofs erzählt. Wie das jugendliche Erzähler-Ich sich in den Pausen in der Raucherecke herumdrückt, wie er an der Theke der Kneipe ausharrt, in der „die Schönste“ kellnert, wie er schließlich ihr Matratzenlager der Hausbesetzerszene teilt: Seine Hoffnungen, Sehnsüchte, seine Erfüllung und sein schmerzlicher Absturz aus dem siebten Himmel sind so universell, dass sich in dieser Liebesgeschichte alle anderen wiederfinden. Ein großes Buch, das einem großen Gefühl noch bis ins kleinste Detail nachspürt.

  • Navid Kermani: Große Liebe. Hanser, 224 S., 18,90 €

Literarische Drahtseilakte

„Ich gehe wie auf hoch gespannten Leinen, schwindelnd“, heißt es einmal in einer von Ann Cottens seltsamen Stories: Und genau so fühlen ihre Leser sich, unsicher, tastend, lassen sie sich von ihren Sätzen tragen. Siebzehn Erzählungen führen über die Abgründe menschenmöglicher Gefühle: „Wie jeder weiß, ist aufrichtige Liebe in erster Linie eine Stilkrise.“ Hier lesen wir von Mädchen, die nachts mit dem Fahrrad durch Berlin fahren, von Handynachrichten und einem „poetischen Furz“ geleitet, bis sie mit falschem Flieder in der Hand vor falschen Türen stehen. Ein Buch für alle, die nichts so lieben wie die Ungewissheit.

  • Ann Cotten: Der schaudernde Fächer. Suhrkamp, 251 S., 21,95 €

Leicht wie Milchschaum

In dem Moment, in dem die Menschen ihren Kaffee bei Massimo Tiberi bestellen, kann der Barista ihnen bis in die Seele schauen: „Cappuccino, Espresso Macchiato oder Espresso Caramello? Sag mir, wie du deinen Kaffee trinkst, und ich sage dir, wer du bist.“ Dann aber betritt die Französin Geneviève seine kleine Bar im Herzen von Rom – und bestellt einen Tee! So beginnt eine Story, die zu Herzen geht: Denn Geneviève, die wegen einer Erbschaft in Italien ist, muss schon bald nach Paris zurück; auch verwirren ihre Briefe an einen gewissen „Mel“ den italienischen Liebhaber. Irrungen und Wirrungen, alte Familiengeheimnisse und ein tragischer Tod: Ob dieser Plot plausibel ist, interessiert nicht die Bohne – solange die Romantik so zart schmelzend verpackt ist, als wäre sie von knisterndem Milchschaum umhüllt. Eine italienisch-französische Affäre, die perfekt zu einem Nachmittag im Lieblingscafé passt – bestimmt nicht ganz zufällig aus dem Verlag, der einst den Gefühlsgroßmeister Nicolas Barreau hervorbrachte.

  • Diego Galdino: Der erste Kaffee am Morgen. Thiele, 320 S., 18 €. Ab 17.2. im Handel.

Das wahre, virtuelle Leben

„Was, um Himmels willen, ist da nur so entsetzlich schief gegangen?“ So schief, dass sich Hanna und Sebastian zehn Jahre lang E-Mails schreiben müssen? Nur sind wir, die Leser, ja dankbar: Dass Thomas Klugkist sich ein Paar ausgedacht hat, das ganz und gar in virtuelle Welten abtaucht und so den Roman ganz von selbst schreibt. Nach einer Rom-Reise beschließen Hanna und Sebastian, dass nur noch wenige Worte sie voneinander trennen – allein, sie finden einfach nicht die richtigen. Und so verlieren sich der „Traumsebastian“ und „Meine liebe, einzige Hanna“ in herzensschönen Sätzen, gestehen sich ihre Gefühle, ihre Gedanken – und ihre Seitensprünge von dieser wahren, einzigen, rein virtuellen Liebe. Ein Roman des 21. Jahrhunderts, in dem das eigentliche Leben nicht von dieser Welt ist.

  • Thomas Klugkist: Hanna und Sebastian. C.H. Beck, 432 S., 19,95 €

Tanzen am Ende der Welt

Gibt es einen erotischeren Tanz als den Tango? Der neuseeländische Lloyd Jones schreitet im Takt der Musik durch die Jahrhunderte, wenn er zwei Liebesgeschichten miteinander verbindet: Das Ende der Welt ist natürlich Neuseeland, aber ein entschlossener Ausfallschritt führt die Handlung nach Argentinien. Als der Klavierstimmer Schmidt ausreist, folgt die junge Louise ihm bis nach Buenos Aires; Jahrzehnte später kehrt Schmidts Enkelin Rosa nach Wellington zurück. Unterlegt mit einer melancholischen Grundmelodie, ist dieser Roman in seinen präzisen Momentaufnahmen vor allem eine Feier des Augenblicks. Und wo ließe es sich besser leben, als ganz im Hier und Jetzt?

  • Lloyd Jones: Hier, am Ende der Welt, lernen wir tanzen. Rowohlt, 304 S., 19,95 €