Die Chronistin des Intimen wirft in 21 Szenen Schlaglichter auf Ehen und Affären, Hoffnungen und Sehnsüchte. In „Glücklich die Glücklich“ beweist die französische Autorin Yasmina Reza einmal mehr ihre Talent, die Komik von Tragödien aufzuspüren.
Ein Paar streitet im Supermarkt – sie hat zu viele Schokoriegel für die Kinder in den Wagen gelegt, er den falschen Käse; beinahe prügeln sie sich.
Oder: Zwei Krebspatienten, Mann und Frau, plaudern im Wartezimmer; als er geht, zückt die Frau Puderdose und Lippenstift und sagt zu ihrem Sohn – „er hinkt, der Arme, was meinst du, hat er sich in mich verliebt?“
Oder: Eine Frau trifft nach Jahrzehnten einen ehemaligen Liebhaber, er ist so dominant wie eh und zieht sie einfach an der Hand mit sich: „Ich dachte, er ist vollkommen irre. Ich dachte, wir sind noch am Leben.“
21 Szenen umfasst Yasmina Rezas neues Prosawerk „Glücklich die Glücklichen“: ein Reigen aus 21 Ich-Erzählungen, der Schlaglichter wirft auf Ehen und Affären, Sehnsüchte und aberwitzige Hoffnungen – unmittelbar und nah am Leben.
So nah, dass man die Autorinnen-Biografie unwillkürlich mitdenkt – ähnelt der dominante Ex-Liebhaber Igor nicht eventuell Rezas mutmaßlichem Ex-Liebhaber Strauss-Kahn? Und wenn Reza einen in rüdem Maße frauenverbrauchenden Politiker als kleinen Mann mit großem Ego darstellt, dann kommt einem ihre uncharmante Reportage über Nicolas Sarkozy in den Sinn, den sie ein Jahr lang im Wahlkampf begleitet hatte.
Yasmina Reza, 1959 in Paris geboren, ist seit „Kunst“ eine der meistgespielten Theaterautorinnen der Gegenwart. Auch in ihrer Prosa gelingen ihr dramatisch witzige Dialogszenen, die einem Woody Allen alle Ehre machen würden:
„Gestern habe ich Juliette mit der Hundeleine geschlagen, sagte ich. – Du hast einen Hund?, sagte Lionel.“
Unter der lustigen Oberfläche verbergen sich naturgemäß Tragödien, die auf vielfältige Weise verflochten sind. Man muss fein aufpassen, um alle Knoten dieses Netzes zu erkennen – da hat die Sprechstundenhilfe des Onkologen eine Affäre mit dem Mann aus dem Supermarkt, der Liebhaber von dessen Frau wiederum ist mit einer Schauspielerin liiert, die unglücklich in einen Mann verliebt ist, der der beste Freund von dem älteren Mann aus dem Wartezimmer ist.
Keine Sehnsucht wird erhört
Selbst vor grotesken Konstellationen schreckt diese tollkühne Chronistin des Intimen nicht zurück: Ein Junge glaubt, Céline Dion zu sein und treibt mit solcherlei Wahnsinn seine Eltern in denselben; ein Arzt schleicht nachts durch den Bois de Boulogne, sucht aber gar nicht Sex, sondern Liebe; auch verrückt.
Bei all der Personalfülle geht es eigentlich um: Einsamkeit. Keines der Paare in diesem Buch ist glücklich, niemand findet Erfüllung, keine Sehnsucht wird erhört. Und doch, ein kleines Wunder, strahlt jede Zeile eine tröstliche Heiterkeit aus. „Lachen“, sagte Yasmina Reza in einem ihrer seltenen Interviews, „Lachen schützt, entschärft, erleichtert, rettet.“ Nehmen wir dies als kleine Lebensweisheit mit: „Glücklich die Lachenden.“
Yasmina Reza: Glücklich die Glücklichen. Hanser Verlag, 176 S., 17,90 €