Essen. Der Schriftsteller zog im Februar 1973 in die Nachbarschaft von Uwe Johnson und Günter Grass. Und führte Buch. Die Aufzeichnungen sollten frühestens 20 Jahre nach dem Tod von Max Frisch veröffentlicht werden. Jetzt gibt das redigiert herausgegebene „Berliner Journal“ intime Einblicke.
Ein Anfang muss her, ein Neuanfang. Max Frisch ist zwar 61 Jahre alt, aber er hadert mit sich, seiner Arbeit, seiner Ehe mit der 28 Jahre jüngeren Marianne. Eine Stimmung, in der gerne mal verschwiegene Affären beginnen. Max Frisch aber stürzt sich in eine wortreiche Liebschaft mit Berlin.
Im Februar 1973 sucht der Autor die erquickende Inspiration neuer Orte, neuer Freundschaften. Die Wohnung in der Sarrazinstraße 8, in der das Ehepaar Frisch einige Jahre lang leben wird, steht noch beinahe leer.
Die neuen Nachbarn helfen: Anna Grass leiht zwei Betten, Uwe Johnson hat den Arbeitstisch bestellt. Die Schweizer werden herumgeführt: „Erste Einkäufe auf dem Wochenmarkt, der in Zukunft unser Markt sein soll, Breslauer Platz, eingeführt durch Günter Grass; Fischkunde.“
Pointenreich und präzise
Fünf Ringbücher umfassen Max Frischs Notizen aus dieser Zeit von 1973 bis 1980, in der Berlin zum Lebensmittelpunkt eines unruhigen Schriftstellerlebens wurde. Erst 20 Jahre nach seinem Tod aber sollten sie veröffentlicht werden.
Denn, so erzählte Frisch in den 80er-Jahren dem Journalisten Volker Hage vom „Spiegel“, dieses Tagebuch habe „viel mit der Ehe zu tun“. Wenn nun erstmals Auszüge erscheinen, sind sie sorgfältig redigiert und stammen ohnehin nur aus den ersten zwei Bänden: einer Zeit, in der auch die Beziehung der Frischs aufzuleben schien.
Besuche in der DDR
Die Tagebücher des Schriftstellers sind eine Kunstform für sich, das gilt auch für das präzise beobachtende Berlin-Journal. Gleich mehrere rote Fäden flicht Frisch hier zusammen: den neuen Freundeskreis, die Besuche in der DDR, seine Arbeit – und sein Altern.
Pointenreiche Skizzen von Uwe Johnson, Hans Magnus Enzensberger oder Günter Grass ziehen die Leser mitten hinein in die Cognac schwenkenden Runden. Zu Grass unterhält Frisch eine Freundschaft, ist aber doch betroffen von dessen Schwächen: „Anruf von einer Redaktion genügt, und er verlautbart.
Als könne er Aktualität ohne Grass nicht ertragen. Wie heilt man ihn?“ Einmal heißt es: „Ich treffe kaum jemand, der mit Sympathie von ihm spricht, das Freundlichste ist Bedauern.“
Auch Christa Wolf und Wolf Biermann sieht er häufig, bei zahlreichen Besuchen in der DDR. Sein Interesse ist groß, seine Haltung schweizerisch-neutral. Nach Begegnungen mit Funktionären wundert er sich: „Wieviel hat es mit Sozialismus zu tun?
Der Verschleiss von natürlichem Charakter, wenn das taktische Verhalten im täglichen Umgang zur zweiten Natur wird . . .“ Schließlich überträgt er Berliner Verhältnisse auf die Heimat: ein längerer Prosatext im Journal beschreibt Zürich als geteilte Stadt.
„Unsinnlichkeit meiner Sprache“
Zugleich bemängelt Frisch die eigene Schaffenskraft. Zwar setzt er sich jeden Morgen, mit Pfeife ausgerüstet, an den Schreibtisch, jedoch: „Meist brauche ich es nicht einmal wiederzulesen, um zu wissen, dass alles unbrauchbar ist.“
Es gelingt ihm nichts, schreibt er, er sei „ohne Arbeitsplan“. „Diese Unsinnlichkeit meiner Sprache jetzt“. Er arbeitet an einem Text, den er erst „Regen“ nennt, dann unter dem Titel „Klima“ an seinen Verlag schickt – und wieder zurückzieht. Erst sechs Jahre später wird er die Erzählung veröffentlichen, nun heißt sie: „Der Mensch erscheint im Holozän“.
Bedrückt ihn der eigene Ruhm? Einmal bekommt er Nachricht über seine „ziemlich horrenden“ Auflagen: „Ein Erfolgsschriftsteller also, nicht einmal ein Hochstapler, nur eben am Pranger der Öffentlichkeit, dieser Pranger als Halt.“
Aber in Montauk...
Wohin, von hier aus? Frisch hadert mit seinem Körper. Er führt einen „Kampf gegen Alkohol“, „keine Woche ohne Niederlagen diesbezüglich“. Im Kreise Jüngerer bewege er sich „als Rübezahl, aber ich merke es gar nicht immer“. Eine Szene am Ende beschreibt, wie er mit Marianne Kleidung kauft: „Meine Hast vor dem Spiegel; der zeigt mir meine groteske Unzumutbarkeit für M. Dieser verfettete Alte, der ich bin!“
Dieser Einkauf im März 1974 dient der Vorbereitung einer USA-Reise. Wenige Wochen später begegnet Max Frisch einer jungen Amerikanerin – und in Montauk verliebt er sich doch, bis hin zur Affäre (dann doch). Der Rest ist Literatur.