Essen. Transparenz, Großzügigkeit, Licht: der britische Star-Architekt David Chipperfield erweist sich als Meister des Understatements und überzeugt mit dem Neubau des Museum Folkwang in Essen. Dem zur Straße und zur Stadt sich öffnenden Gebäude, gelingt der nahtlose Anschluß an den Altbau.
Bilbao war gestern. Dieses Spektakeln am Bau, dieser Selbstzweck von Architektur als touristisches Ereignis, es hat den Briten David Chipperfield nie wirklich interessiert. „Architektur ohne Relevanz berührt dich nicht. Sie muss verstanden werden”, ist ein bezeichnendes Chipperfield-Zitat. Und genau so hat der Star-Architekt in Essen gebaut: klar, verständlich, nachvollziehbar. Das Ergebnis: Ein edelschimmerndes Bauobjekt aus Licht und klaren Linien, dessen Glaskeramikhülle ebenso leicht wie elegant wirkt und dessen raffinierte „Schettdach”-Konstruktion den Kunsträumen demnächst einen einzigartigen, stufenlosen Lichteinfall garantiert.
Wenn das neue Museum Folkwang am 30. Januar 2010 nach nur zweijähriger Bauzeit eröffnet wird, kann man ein Haus bestaunen, das so selbstverständlich, so gelassen in Größe, Schönheit und Helligkeit auftrumpft, dass man Vergleichbares sucht. Ein Ereignis der Einfachheit. Ein Glanzpunkt zum Kulturhauptstadtjahr. Er wird weit ins Land strahlen.
Klassisch im besten Sinne
Folkwang-Komplex
Der Altbau bleibtDer Neubau des Museums Folkwang ersetzt den baufällingen Erweiterungstrakt von 1983. Nach langem Streit über dessen mögliche Sanierung machte 2006 die Zusage der Kruppstiftung über eine 55 Millionen Euro-Spende den erhofften Neubau möglich. Als Sieger des Architektur-Wettbewerbs wurde im März 2007 der Londoner Star-Architekt David Chipperfield gekürt. Der denkmalgeschützte Folkwang-Altbau von 1960 bleibt erhalten und wird in den nächsten Monaten saniert. Das neue Museum Folkwang wird am 30. Januar 2010 eröffnet.
Mit David Chipperfield ist dabei auch ein Weltstar des Understatements ins Revier gekommen, der so angenehm unprätentiös auftritt wie seine Architektur. Einer, der seine gelungene Essener Großtat beim Rundgang augenzwinkernd „altmodisch” nennt, klassisch im besten Sinne. Berthold Beitz, Kuratoriumsvorsitzender der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung, sah es gestern mit Wohlwollen. Er sei zuversichtlich, „dass das neue Haus der herausragenden Sammlung des Museum Folkwang ein würdiges Zuhause geben wird”, ließ sich Beitz nach einem privaten Rundgang vernehmen.
Nicht zuletzt die sagenhafte Summe von 55 Millionen Euro, die die Kruppstiftung für den Neubau bereit stellte, als die Stadt um eine Lösung für den baufälligen Erweiterungstrakt rang, macht das neue Museum zu einem Hingucker von enormem Öffentlichkeitsinteresse. Berthold Beitz empfindet es als „Geschenk”, selbst wenn es nicht ganz pünktlich zum 96. Geburtstag des noblen Spenders fertig geworden ist. Ein Geschenk – vor allem an die Bürger. Und die sehen, was sie lange nicht sehen konnten: Kunst, die sich nicht hinter dicken Mauern und unter schummrigem Kunstlicht versteckt, sondern schon im Vorbeifahren zum Hinsehen ermuntert. So transparent hat sich ein Museum selten präsentiert.
Öffnung zu Stadt und Straße
Die Verbindung nach außen, die Öffnung zu Stadt und Straße, das war ein wesentlicher Wunsch auf jener „Shopping List”, die Museums-Chef Hartwig Fischer dem Stararchitekten 2007 mit auf den Weg hat geben dürfen. Der 56-jährige Foster-Schüler ist hier zu Lande vermutlich auch deshalb so beliebt, weil er weiß, was deutsche Kunden wünschen: Qualität, Zuverlässigkeit, Präzision. Und Kostenbewusstsein.
Allein die Tatsache, dass der eng vorgegebene Finanz- und Zeitrahmen am Ende wirklich eingehalten wurden, darf man als Sensation werten. Mehr noch als die Disziplin, mit der in Essen gebaut wurde, überzeugt die neue Leichtigkeit und Luftigkeit, diese Ein- und Durchblicke, die der mit 25 000 Quadratmetern gewaltige, aber nicht einschüchternde Baukörper bietet. Dafür sorgt eine aufgelockerte Architektur aus Pavillons und Innenhöfen, die damit stilistisch an den Altbau anschließt. Dazu hat man in Essen den ebenso reizvollen wie problematischen Umgang mit Tageslicht in der Kunst auf unvergleichlich großzügige Weise gewagt.
Kunst von der Nachriegsmalerei bis zur Gegenwart
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Die neuen Räume, in denen ab Januar hochkarätige Kunst von der Nachriegsmalerei bis zur Gegenwart zu sehen sein wird, sind nichts für lichtscheue Gestalten. Große Fenster erlauben immer wieder den freien, belebenden Blick nach draußen, auf Straßen, Häuser, den „englischen” Rasen der Innenhöfe. Die reizvollen Durchsichten innerhalb des Gebäudes ermöglichen zudem, was Chipperfield die „Paradoxie eines Museums” nennt: den Wunsch, sich in den weiten Fluchten der Kunsträume zu verlieren und gleichzeitig die Orientierung zu bewahren.
Der Brite beweist sich in Essen damit einmal mehr als moderner Traditionalist. So wie er dem Neuen Museum in Berlin die Schrunden und Narben der Vergangenheit gelassen hat, so versucht sein Neubau in Essen nicht, den Altbau von 1960 unterzubuttern. Im Gegenteil: Der Anschluss gelingt nahtlos. Die gesamte Ausstellungsfläche befindet sich auf einer Ebene und bietet dazu endlich genügend Platz für die vielen Folkwang-Schätze: das Plakatmuseum, die Graphik und die exquisite Fotografische Sammlung, die mit den fünf Meter hohen Decken nun für jede Bilder-Großtat bereit steht. Ab Mitte Dezember soll die Kunst wieder einziehen.