Essen. . Magnum, Gordon und mehr: Zwei Ausstellungen im Essener Museum Folkwang laden ein zu einem Streit über Fotografie – ist sie das spektakuläre Einzelbild? Oder muss Fotokunst heute ratlos, analytisch, demokratisch sein?

Im Museum Folkwang kann man derzeit über Fotografie streiten: Ist sie das spektakuläre Einzelbild, ein Licht- und Schattenspiel, in dem Zeitgeschichte und Augenblick zu einem politischen, ästhetischen gültigen Ganzen gerinnen? Oder müssen wir den großen Themen und dem geadelten Einzel-Abbild misstrauen, muss Foto-Kunst heute ratlos, analytisch, demokratisch sein – wie bei Douglas Gordon, dessen Installation behauptet, dass alles nichts sei ohne den Betrachter, „Everything is nothing without its reflection“?

Das Auge der Fotografen ist kühler geworden, aber vielleicht sind auch nur die Betrachter abgebrüht. Abgebrühter als die „Magnum“-Fotografen um die Reporter-Legenden Henri Cartier-Bresson und Robert Capa es waren. Die sammelten Mitte des von Kriegen geschundenen vergangenen Jahrhunderts für die ganze Welt Zeugnisse der Barbarei und ihrer Opfer. Sie schufen mit ihren Kameras schwarz-weiße Foto-Ikonen wie die des tödlich getroffenen spanischen Bürgerkriegssoldaten, wie die der Massen-Trauer über den Tod Mahatma Gandhis – und zugleich Vor-Bilder, eine Norm, wie und was Fotografie zu sein habe: edel, hilfreich und gut gemacht. Und schön, irgendwie.

"Bilder unter Freunden" sind Foto-Schätze

Im Museum Folkwang sind jetzt etliche dieser „klassischen“ Foto-Schätze zu bewundern. Sie stammen aus einem Karton, den die Essener jüngst vom seit heute 90-jährigen Schweizer Fotografen, Grafiker und „NZZ“-Bildredakteur Ernst Scheidegger erwerben konnten. „Bilder unter Freunden“ waren diese heute kostbaren Vintage Prints, Tauschgeschenke zwischen Scheidegger und seinen ungleich berühmteren Kollegen. Neben Capa und Cartier-Bresson finden sich hier eindrucksvolle, noch heute berührende Arbeiten von Werner Bischoff, George Rodger, Ernst Haas und David Seymour.

Im Raum nebenan Douglas Gordon, spätestens seit dem Turner-Preis 1996 ebenfalls ein Promi. Der Schotte, Jahrgang 1966, fährt gleich 180 gerahmte Farb-Fotografien auf: kleine, große, drunter und drüber. Was zunächst nach einer reichlich ungefähren „Petersburger Hängung“ aussieht, entpuppt sich als listige Installation und ein Statement zur Foto-Kunst.

Familienalbum an vier Wänden

Hier breitet einer so etwas wie sein Familienalbum an vier Wänden aus, eine Alltags-Autobiografie: Lapidare Bilder seiner Kinder neben ebenso unprätentiösen Fotos von Eltern und Elefanten und Reisen und einer angebissenen Lasagne; da ein nacktes rosa Baby (ein Junge!) nah bei einem stark behaarten Männerarm, hier ein schmusendes Paar und ein schöner Wirsing. Überall rätselhafte Banalitäten oder banale Rätsel, doch immer wieder etwas, das dem Betrachter bekannt vorkommt: ein Gesicht, sein eigenes – im Spiegel, der sich in anderen Spiegeln spiegelt.

Keine der Fotografien behauptet, für sich ein Kunstwerk zu sein oder wenigstens magazintauglich. Es gibt hier weder einen Zeitstrahl noch eine Hierarchie; der Besucher assoziiert sich frei durch den Raum, die Zeit und ein Künstlerleben. Wer sich darauf einlässt, mag die blinden Stellen in Gordons Geschichte mit eigenen Erinnerungsbildern füllen. Und so, Schritt für Schritt und mit eigenen Augen etwas schaffen, das im Raum nebenan bei Capa und Co. noch ganz anders aussah: ein Kunstwerk.

Museum Folkwang: Bilder unter Freunden – Die Sammlung Ernst Scheidegger. Bis 16.2. 2014.

Douglas Gordon: Everything is nothing without its Reflection. Bis 2. März 2014.