Herne. . Poetry Slams werden immer beliebter, bekannte Slammer ziehen ins Revier. Und WortLautRuhr organisiert Wettbewerbe von Dortmund bis Duisburg. Ihr Hauptquartier ist Herne - und ab dem nächsten Jahr erobern sie auch noch Oberhausen.

Ein Mikrofon wartet, das Publikum auch, nur zwei, drei Schritte entfernt. Blicke voller Erwartung. Ein letzter Schluck Mut aus der Bügelflasche, dann entknüllt der Poet den Zettel in seiner schweißnassen Hand: Zeit, sich zu entblößen.

So muss es sich anfühlen, wenn Literatur beim Poetry Slam Beine bekommt. In den letzten Jahr(zehnt)en ist das Format in Deutschland immer beliebter geworden, bei dem junge Nachwuchsliteraten gegeneinander antreten. Besonders im Revier gibt es immer mehr Poetry Slams, die bevorzugt in Kneipen oder Kellerclubs stattfinden. Welcher der „Slammer“ revolutionärer Wortkünstler oder literarischer Wiederkäuer ist, entscheidet kein Feuilletonist, kein Literaturwissenschaftler: Allein die Stimme des Publikums zählt.

Zwei Menschen, die sich diesem Wettbewerb der Wortkunst verschrieben haben, heißen Sebastian Rabsahl und Chris Wawrzyniak: Sie veranstalten Poetry Slams im ganzen Ruhrgebiet, seit Sommer 2012 betreiben sie eine eigene Agentur namens WortLautRuhr. Mittlerweile einer der größten Slam-Veranstalter in ganz Deutschland.

Ruhrgebiet gibt Künstlern einen Raum, sich auszuprobieren

Regelmäßig füllen ihre Events das Dortmunder FZW, die Herner Flottmannhallen oder die Bochumer Rotunde mit begeisterten Slam-Fans. Woher diese Popularität? Rabsahl sieht dafür mehrere Gründe: „Das Ruhrgebiet gibt Künstlern einen Raum, sich auszuprobieren. Die niedrigen Mieten eröffnen neue Möglichkeiten, zum Beispiel für Galerien.“ Eine weitere Einzigartigkeit der Region: Viele Leute auf kleinem Raum. „Die wollen ja auch Kultur“, sagt Rabsahl: Das wachsende Kulturangebot ist der Nachfrage zu verdanken.

„Viele bekannte Slammer sind mittlerweile hier hergezogen. Und es leben viele Studenten in den Städten.“ Gute Voraussetzungen für moderne Kunstproduktion: „Immer mehr junge Leute wollen Kultur selbst gestalten. Und sie finden sich nicht immer in etablierten Sparten wieder. Wo will man hin mit seinen Texten außerhalb geschlossener, elitärer Lesezirkel? Wir geben diesen Leuten eine Bühne“.

Beim Poetry Slam darf jeder, der sich anmeldet, auf die Bühne: Dennoch performen dort nicht nur talentfreie Wortamateure, die ungestört vor sich hin dilletieren. Nicht wenige erfolgreiche Autoren der Gegenwart sind in dieser Spielart der mündlichen Text-Performance verwurzelt.

Wettbewerbscharakter bringt Spannung und Spaß ins Spiel

Rabsahl, besser bekannt als Sebastian 23, ist selbst einer von ihnen. Er ist preisgekrönter Slammer und Buch-Autor. Eine weitere Besonderheit des Poetry Slams: sein Wettbewerbscharakter, erklärt Wawrzyniak. Der bringt Spannung und Spaß ins Spiel. Das ist vor allem für die jüngere Generation wichtig, die erst für die Literatur begeistert werden will. Im Januar organisiert der WortLautRuhr deshalb den Ruhrpokal, bei dem Schüler aus dem ganzen Ruhrgebiet gegeneinander antreten.

Dafür wird den Jugendlichen zunächst einmal vermittelt, was das überhaupt ist: Literatur. Kein dröger Deutschunterricht, sondern spielerische Annäherung: Darauf setzen die Veranstalter. Mitunter auch mit Hilfe des Poetry-Slam-Urgesteins Wolf Hogekamp, der trotz seines fortgeschrittenen Alters mit seiner Vitalität und modernen Sprachkunst zu überzeugen weiß.

Die Leitung der Workshops übernehmen einige der erfolgreichsten Slammer der Region, wie Tobi Katze und Theresa Hahl aus Dortmund oder Sebastian 23 selbst. Von ihnen lernen die Kids, wie man Texte schreibt und auf der Bühne präsentiert. Bei der Auswahl ist alles erlaubt: Ob humoristisch, tragisch, melancholisch oder flapsig – was zählt, ist der Spaß an der Sprache.

Nach den Stadtmeisterschaften treffen die zwei besten Slammer aus jeder Stadt im großen Finale aufeinander: in den Kammerspielen des Schauspielhauses Bochum. „Das wird eine richtig große Sache“, freut sich Rabsahl, „wir hoffen, daraus ein jährliches Highlight in der jungen Slammerszene zu machen.“ Nicht ausgeschlossen, dass dabei das nächste große Talent entdeckt wird: „Bei jedem Slam gibt es mindestens einen Text, der dich einfach umhaut“, verspricht Wawrzyniak.