München. Er gründete die legendäre Lach- und Schießgesellschaft in München und legte als Kabarettist im Fernsehen über Jahrzehnte immer wieder den Finger in die Wunde. Jetzt schweigt eine wichtige Stimme im Dienst der Demokratie: Dieter Hildebrandt ist im Alter von 86 Jahren gestorben.

Einst war er Platzanweiser im Münchner Kabarett "Kleine Freiheit", schließlich wurde er selbst einer der bekanntesten und bedeutendsten Kabarettisten Deutschlands. Eine wichtige Stimme im Kampf für Demokratie, Gerechtigkeit und gegen Politiker-Unsinn ist nun verstummt. Dieter Hildebrandt ist tot.

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Noch in ihrer Mittwochsausgabe hatte die Münchner Zeitung "tz" den schwer erkrankten Kabarettisten mit dem Satz zitiert: "Ich kämpfe bis zum Schluss." Doch alles ging schrecklich schnell.

Bis zuletzt steckte Hildebrandt voller Tatendrang

Als die Zeitungen morgens am Kiosk auslagen, war Hildebrandt bereits tot. Er starb in der Nacht zu Mittwoch im Alter von 86 Jahren im Kreise seiner Familie in einem Münchner Krankenhaus. "Bis zum Schluss hatte er Pläne, hatte gekämpft und wollte sich im Dezember auf der Bühne der Münchner Lach- und Schießgesellschaft von seinem Publikum verabschieden", teilte das Theater mit, das Hildebrandt einst mitbegründet hatte.

Noch bis vor kurzem steckte Hildebrandt voller Tatendrang. Fast jeden Tag stand er auf der Bühne. Er sei es nicht gewöhnt, kürzerzutreten, sagt er zu seinem 85. Geburtstag im vergangenen Jahr im Interview der Nachrichtenagentur dpa. "Ich mache immer etwas längere Schritte. Kürzere Schritte habe ich nicht so gerne. Das sieht immer so nach trippeln aus und ich trippele nicht gerne." Bis 2014 hatte er schon Auftritte zugesagt.

Kaum jemand wusste, wie schlimm es um ihn stand

Doch die Krankheit bremste ihn aus. Die Diagnose Prostatakrebs hatte er nach Informationen der Münchner Zeitung "tz" erst im Sommer bekommen. Alle Auftritte sagte er daraufhin ab. Sein Freund, der Karikaturist Dieter Hanitzsch, zeichnete ein Bild, das einen lachenden Hildebrandt im Schlafanzug und mit Kerze in der Hand zeigt, wie er mit dem Finger auf eine Klinik weist und sagt: "Ich muss mal ... zur Reparatur."

Mit einer Reparatur war es nicht getan. Wie ernst es aber um ihn stand, das wusste kaum jemand. Nachdem sich sein Zustand vor wenigen Wochen gebessert hatte, durfte er zunächst nach Hause, wie Hanitzsch sagte. Dann habe er aber einen schweren Rückschlag erlitten und musste wieder ins Krankenhaus - auf die Palliativstation.

Mit Hildebrandt verliert Deutschland eine wichtige politische Stimme 

Mit Hildebrandt verliert Deutschland eine politische Stimme, die jahrzehntelang immer deutlich zu hören war. "Ich kann doch auch nichts dafür" hatte er sein letztes Programm genannt. Für ihn war das die Universal-Ausrede schlechthin. "Es kann natürlich jeder was dafür und trotzdem fällt immer wieder überall dieser Satz" - in Deutschland spätestens seit dem Ende des Nazi-Regimes.

Bis zuletzt hatte Hildebrandt nichts von seiner Scharfzüngigkeit eingebüßt. Missverhältnisse brachten ihn zum Lachen. "Ich sitze etwas nervös manchmal herum und denke: Was wird mit dieser Republik? Manchmal denke ich, diese Demokratie ist etwas in die Jahre gekommen und wir müssen aufpassen, dass sie nicht überaltert."

1956 gründete Hildebrandt die "Lach- und Schießgesellschaft"

Hildebrandt wurde im schlesischen Bunzlau geboren und begann nach dem Zweiten Weltkrieg ein Studium in München, wo er seither lebte. Er entdeckte zunächst die Liebe zur Schauspielerei, doch bei der sogenannten Schauspielergenossenschaftsprüfung fiel er durch. Zusammen mit Sammy Drechsel gründete er nach seinen Intermezzi als Platzanweiser und als Mitglied in einem Studentenkabarett 1956 die Münchner Lach- und Schießgesellschaft - noch heute steht der Schwabinger "Laden" für scharfzüngiges Kabarett.

Für Helmut Dietls Kult-Serie "Kir Royal" stand Hildebrandt als Fotograf "Herbie" an der Seite von "Baby Schimmerlos" (Franz-Xaver Kroetz) vor der Kamera. Für die Kino-Fortsetzung "Zettl" übernahm er die Rolle noch einmal.

Franz Josef Strauß beklagte "politische Giftmischerei"

Bis 1980 liefen Hildebrandts "Notizen aus der Provinz" im ZDF, nach einer im Wahljahr erzwungenen Sendepause wechselte er zum Sender Freies Berlin, bis 2003 war er Protagonist im "Scheibenwischer". Alle Themen, die das Land bewegten, kamen ins Programm - pointiert, satirisch beleuchtet und gegen den Strich gebürstet. Für Bayerns ehemaligen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß war Hildebrandts scharfe Zunge "politische Giftmischerei", der Bayerische Rundfunk blendete ihn wegen "nicht gemeinschaftsverträglicher" Elemente schon mal aus dem Programm aus.

Zwischen seiner kabarettistischen Kunst und denen, die sich heute Comedians nennen, sah Hildebrandt übrigens keinen großen Unterschied. "Ein Kabarettist ist immer auch ein Comedian - und umgekehrt", sagte er. "Es ist ja ein Missverständnis, dass nur derjenige, der über Politik redet, auch Politik meint. Unser Leben ist voller Politik. Es ist nur so, dass es inzwischen bei den Comedians den Hang dazu gibt, nur noch über die Unterschiede zwischen Mann und Frau zu sprechen. Das langweilt mich natürlich."

Trauer um eine moralische Instanz

"Es ist ein großer Verlust", sagte sein Freund Hanitzsch, mit dem Hildebrandt das Online-Kabarett-Projekt "Störsender.tv" auf die Beine gestellt hat, nachdem er die Todesnachricht bekommen hatte. "Für uns alle."

Am Mittwoch stand auf der Startseite des Projekts: "Danke, lieber Dieter, für alles." Und die Lach-und Schießgesellschaft teilte mit: "Er hätte uns noch so viel zu sagen gehabt. Wir trauern mit seiner Familie um einen wunderbaren Menschen, lieben Freund, Förderer und eine moralische Instanz." (dpa)

Trauer um Dieter Hildebrandt

Abschied von Dieter Hildebrandt: Der Kabarettist...
Abschied von Dieter Hildebrandt: Der Kabarettist... © dpa
... ist in der Nacht zu Mittwoch gestorben. Erst wenige Stunden zuvor war bekannt geworden,...
... ist in der Nacht zu Mittwoch gestorben. Erst wenige Stunden zuvor war bekannt geworden,... © Thorsten Lindekamp/WAZ FotoPool
... dass der 86-Jährige an Prostatakrebs erkrankt war.
... dass der 86-Jährige an Prostatakrebs erkrankt war. © dpa
Geboren am 23. Mai 1927 in Bunzlau/Niederschlesien,...
Geboren am 23. Mai 1927 in Bunzlau/Niederschlesien,... © Georg Göbel/dpa
... zog Hildebrandt nach dem 2. Weltkrieg mit seinen Eltern nach Bayern. Er studierte Theaterwissenschaften und Literatur in München und war...
... zog Hildebrandt nach dem 2. Weltkrieg mit seinen Eltern nach Bayern. Er studierte Theaterwissenschaften und Literatur in München und war... © Heirler/dpa
... 1956 Mitbegründer der  Münchner Lach- und Schießgesellschaft (hier ein Archivbild von 1961. Es zeigt Hildebrandt (rechts) gemeinsam mit Ursula Noack und Klaus Havenstein).
... 1956 Mitbegründer der Münchner Lach- und Schießgesellschaft (hier ein Archivbild von 1961. Es zeigt Hildebrandt (rechts) gemeinsam mit Ursula Noack und Klaus Havenstein). © dpa
Dieses Bild zeigt Hildebrandt (2.v.l.) gemeinsam mit Hans J. Diedrich, Klaus Havenstein und Jürgen Scheller (v.l.n.r.) 1967 bei der Vorstellung des Programms
Dieses Bild zeigt Hildebrandt (2.v.l.) gemeinsam mit Hans J. Diedrich, Klaus Havenstein und Jürgen Scheller (v.l.n.r.) 1967 bei der Vorstellung des Programms "Kleider machen Leute". © Georg Göbel/dpa
Das Ursprungs-Ensemble löste sich 1972 auf - die
Das Ursprungs-Ensemble löste sich 1972 auf - die "Lach- und Schießgesellschaft" besteht aber seit 1976 als Kabarett weiter. Hildebrandt... © dpa
... schrieb dafür weiter Texte, unter anderem mit Werner Schneyder (re.).
... schrieb dafür weiter Texte, unter anderem mit Werner Schneyder (re.). © dpa
Hildebrandt, hier im Jahr 2000 gemeinsam mit Bruno Jonas (li.), galt über Jahrzehnte als einflussreichster Kabarettist Deutschlands - nicht zuletzt wegen seiner langjährigen TV-Sendung
Hildebrandt, hier im Jahr 2000 gemeinsam mit Bruno Jonas (li.), galt über Jahrzehnte als einflussreichster Kabarettist Deutschlands - nicht zuletzt wegen seiner langjährigen TV-Sendung "Scheibenwischer". Diese... © dpa
... moderierte er von 1980 bis 2003.
... moderierte er von 1980 bis 2003. © picture-alliance / dpa
Hildebrandt hatte zwei Töchter. Nach dem Tod seiner ersten Frau war er seit 1992 mit Renate Küster - hier auf einem Archivbild von 2002 - verheiratet.
Hildebrandt hatte zwei Töchter. Nach dem Tod seiner ersten Frau war er seit 1992 mit Renate Küster - hier auf einem Archivbild von 2002 - verheiratet. © dpa
Dieter Hildebrandt und seine Ehefrau Renate Köster im Jahr 2011. Klicken Sie sich durch weitere Bilder aus dem Leben und Wirken Dieter Hildebrandts.
Dieter Hildebrandt und seine Ehefrau Renate Köster im Jahr 2011. Klicken Sie sich durch weitere Bilder aus dem Leben und Wirken Dieter Hildebrandts. © dpa
1990: ein Ständchen mit dem Liedermacher Konstantin Wecker (l.) im
1990: ein Ständchen mit dem Liedermacher Konstantin Wecker (l.) im "Scheibenwischer". © dpa
In der ARD-Serie
In der ARD-Serie "Kir Royal" spielte Hildebrandt (re.) den Schickeria-Pressefotografen "Herbie". © Getty Images
Im Mai 2002 wurde der 75. Geburtstag des Kabarettisten mit einer großen Fernsehgala gefeiert.
Im Mai 2002 wurde der 75. Geburtstag des Kabarettisten mit einer großen Fernsehgala gefeiert. © dpa
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