Als am 15. Februar 2013 ein rund 13 000 Tonnen schwerer Meteorit in der Nähe der russischen Millionenstadt Tscheljabinsk hoch in der Luft zerbarst, witterten einige Wissenschaftler eine tolle Chance: Um 9.20 Uhr Ortszeit waren viele Autos mit kleinen Kameras auf dem Armaturenbrett unterwegs. Genau wie so manche automatische Überwachungskamera zeichneten viele Fahrer mit diesen Minigeräten die Lichtspur des explodierenden Himmelskörpers auf. Mit diesen und vielen weiteren Daten konnten Peter Jenniskens vom NASA Ames Research Center in Kalifornien, Olga Popowa von der russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau und ihre Kollegen jetzt das Zerbersten des Feuerballs am Himmel in der Zeitschrift Science rekonstruieren.

Seine Geschichte begann mit der Entstehung des Sonnensystems vor 4,56 Milliarden Jahren. Damals bildeten sich bereits die Millimeter-großen Kügelchen aus Silikat, die den wichtigsten Bestandteil von 86 Prozent der Meteoriten bilden, die unseren Planeten treffen. Ein solcher Brocken kam vor rund 1,2 Millionen Jahren der Erde so nahe, dass die Anziehungskraft des Planeten einen Steinmeteoriten mit einem Durchmesser von rund 20 Metern herausbrechen konnte, so die Forscher um Peter Jenniskens. Dieses Bruchstück traf am 15. Februar 2013 bei Tscheljabinsk auf die Erdatmosphäre.

Da der Steinmeteorit mit einem Tempo von knapp 72 000 Kilometern in der Stunde auf die äußeren Schichten der Atmosphäre prallte, heizte er die Luft sehr stark auf. Video-Aufnahmen zeigen dann auch bereits 97 Kilometer über der Oberfläche des Planeten einen Feuerball, der sich mit einem Tempo von rund 69 000 Kilometern in der Stunde in Richtung Westnordwest bewegte und dabei in einem Winkel von 18,3 Grad Richtung Erde stürzte. Aus diesen und weiteren Daten leiten die Forscher einen Durchmesser von etwa 19,8 Metern ab – dort oben raste demnach ein Brocken von der Größe eines sechsstöckigen Wohnblocks mit der rund 80-fachen Geschwindigkeit eines Großraum-Flugzeugs durch die Atmosphäre.

„Wie oft Meteoriten dieser Größe auf die Erde treffen, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden“, erklärt Jürgen Oberst vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Berlin-Adlershof. Schließlich dürften die meisten von ihnen ohne Zeugen über den Weltmeeren oder Wüsten auf die Erdatmosphäre prallen. Gute Daten von solchen Ereignissen sind Mangelware, oft werden sie gar nicht registriert. Ein Treffer über einer Großstadt wie Tscheljabinsk ist zum Glück extrem selten.

Schließlich entwickelte sich bei diesem enorm starken Aufprall in einer Höhe von etwa 90 Kilometern eine gewaltige Schockwelle. In 83 Kilometern Höhe begannen die gigantischen Kräfte den durch die Luft rasenden Gesteinsbrockens zu zerreißen, in 54 Kilometern Höhe beschleunigte sich das Auseinanderbrechen. In 29,7 Kilometern Höhe war die Luft um den Meteoriten und seine Trümmer schließlich so weit aufgeheizt, dass der Feuerball 30-mal heller als die Sonne strahlte, vermuten Peter Brown von der University of Western Ontario in Kanada und seine Kollegen in einem parallel erscheinenden Artikel in der Zeitschrift Nature. Etliche Menschen auf dem Erdboden erlitten dadurch leichte Augenverletzungen oder leichte Brandverletzungen. Als die Schockwelle des Treffers auf den Erdboden traf, fegte sie einige Menschen von den Füßen, die viele Kilometer unter der Flugbahn des Meteoriten standen. Etliche Fenster flogen unter dem Druck der Schockwelle aus dem Rahmen, viele Menschen wurden von Splittern getroffen, 1491 wurden Menschen verletzt.

Das größte der Bruchstücke schlug ein Loch mit sieben Metern Durchmesser in das 70 Zentimeter dicke Eis des Tschebarkulsees. Am 16. Oktober 2013 holten Forscher einen gewaltigen Brocken davon vom Grund des Gewässers. Als sie dieses Bruchstück wiegen wollten, gab die Waage bei 570 Kilogramm ihren Geist auf.

Norbert Hertkorn und Philippe Schmitt-Kopplin vom Helmholtz-Zentrum München haben das Innere zweier im Schnee Sibiriens gelandeten winzigen Meteoriten-Bruchstücken analysiert. Mit einer „hochauflösenden Massenspektroskopie“ fanden die Forscher Hinweise auf tausende chemische Verbindungen, von denen sie rund die Hälfte identifizieren konnten. Davon enthalten 2536 die für die Grundbausteine des Lebens wichtigen Elemente Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Sauerstoff und Schwefel. „Die Daten zeigen, dass die allermeisten dieser Verbindungen aus dem Weltraum stammen und nicht etwa erst auf der Erde dazu gekommen sind“, erklärt Norbert Hertkorn.

Der Tscheljabinsk-Meteorit öffnet daher auch ein Fenster in die Urzeit des Sonnensystems und zeigt, dass die Grundbausteine, aus denen Leben entstehen kann, im Sonnensystem gleich am Anfang vorhanden waren. Prallt ein solcher Brocken von der Größe eines Mietshauses auf die Atmosphäre der Erde, ist er allerdings kein Lebensspender, sondern gefährdet Mensch und Natur: Peter Brown und seine Kollegen schätzen, dass der Meteoritentreffer ähnlich viel Energie freigesetzt hat wie die Explosion von einer halben Million Tonnen des herkömmlichen Sprengstoffs TNT. Seine Sprengkraft entspricht also der stärksten Atombombe, die je von den USA getestet wurde. Die Gefahren bei Explosionen von kleineren Meteoriten mit zehn bis 50 Metern Durchmesser in der Atmosphäre sollten also nicht unterschätzt werden.