Essen. „Hinterland“ heißt das neue Album, das Rapper Casper nach dem Erfolg mit „Xoxo“ herausbringt. Im Interview spricht er über das Leben als Rockstar, die Rap-Szene und über seine abgrundtiefe Abneigung gegen TV-Shows: „Ich auf der “Wetten, dass...?“-Couch: Das wäre die Hölle!“

September 2013, Berlin Festival, Casper-Auftritt. „Michael X“ heißt der Song: „Nun sind wir 27/bald alt und grau/Keiner wurd’ Rockstar von uns/niemand Astronaut/Wie schon gesagt/ ging’s nach dem Zivi bergab/Vorbei der Teenagerspaß/Perspektiven für’n Arsch“ – und selten klang er falscher. Heute, mit 30, ist Casper ist längst Rockstar. Und die Perspektiven? Wenn am kommenden Freitag sein neues Album „Hinterland“ erscheint, wird der Erfolg kaum aufzuhalten sein.

Vor der Veröffentlichung von „XOXO“ vor zwei Jahren hatten Sie Angst davor, den hoch gesteckten Erwartungen an die Platte nicht gerecht werden zu können. Hätten Sie sich damals auch nur ansatzweise ausmalen können, wie groß das Ganze wird?

Casper: Nein, niemals. Wenn ich „XOXO“ heute rausbringen würde, wäre das aber etwas anderes. Deutsch-Rap läuft wieder. Jeder Rapper geht gerade auf Eins in den Charts. Das war vor zwei Jahren noch undenkbar, dabei ist das noch gar nicht lange her. Jetzt haben wir Cro, der die Stuttgarter Schleyerhalle füllt oder Marteria, der 700.000 Singles verkauft.

Die Erwartungen an Ihr neues Album sind nun andere. Sind Ihre Ängste dieselben?

Casper: Nein. Als „XOXO“ herauskam, war ich der unsicherste Mensch der Welt. Da haben plötzlich Leute bei mir vor der Tür gezeltet und mich permanent auf der Straße angesprochen. Alles war Wahnsinn. Im Laufe der Zeit habe ich aber an Souveränität gewonnen. Ich weiß mittlerweile, wo ich stehe. Trotzdem bin ich unsicher, ob den Leuten die neue Platte gefallen wird. Ich selbst bin total stolz darauf. Das ist genau die Platte, die ich machen wollte. Aber ob das ein 16-Jähriger von heute cool findet und das für sein Leben abstrahieren kann, wird sich erst noch zeigen. „Hinterland“ ist sicherlich eine erwachsenere Platte als „XOXO“.

Wie nimmt Ihre Mutter im ostwestfälischen Bösingfeld den ganzen Trubel um Sie wahr?

Casper: Mama ist extrem stolz und sammelt jeden Artikel, der irgendwo über mich in der Zeitung steht. Und jetzt, wo sie sieht, was für Arbeit dahinter steckt, hat sie sogar einen neu gewonnenen Respekt vor mir entwickelt.

Kann sie denn nachvollziehen, wie Ihr Leben und Ihr Alltag aussieht?

Casper: Das tut keiner meiner Freunde und Verwandten, die nicht selbst in dem Business arbeiten. Entweder denken die, ich würde den ganzen Tag nur Halligalli machen und wäre steinreich – was nicht stimmt. Oder die denken, ich würde nur von Termin zu Termin hetzen und hätte gar keine Zeit – was auch nicht stimmt. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen.

Haben Sie sich das Profimusikerdasein denn als 16-Jähriger so vorgestellt?

Casper: Nein. Ich hänge eben nicht nur auf Parties rum, schmeiße mit Kohle um mich und kann tun und lassen, was ich will. Schön wär’s. Die Realität sieht ganz anders aus.

Nämlich?

Casper kann schlecht einschätzen, ob seine neue Platte Jugendliche ähnlich erreicht wie
Casper kann schlecht einschätzen, ob seine neue Platte Jugendliche ähnlich erreicht wie "XOXO". Foto: Dirk Bauer, WAZ FotoPool © WAZ FotoPool

Casper: Ich habe die neue Platte ja in Mannheim aufgenommen und war von Dezember bis Juni dort. Da hatte ich keinerlei Zeit für irgendetwas anderes, da ging es nur darum, die Platte fertig zu bekommen. Als ich dann wieder da war, musste ich proben, Promotermine wahrnehmen, Business-Entscheidungen treffen – da kann ich nicht noch jeden Abend Bier trinken gehen. Ein Großteil meiner Freunde möchte deshalb echt nicht mit mir tauschen.

Im Song „Nach der Demo ging’s bergab“ heißt es: „Eins bleibt immer gleich: Nach dem Feuerwerk wird aufgeräumt.“ Gab es nach dem großen „XOXO“-Getöse einen Moment, an dem auf einmal alles um Sie herum still wurde und Sie von außen auf die Überreste der großen Party geblickt haben?

Casper: Nein, den gab es nicht. Es gab nie einen Moment der Ruhe. Wir sind ja die ganze Zeit getourt und haben im Jahr 170 Shows gespielt. Ich war bei Stefan Raab. Ich war bei Arte „Durch die Nacht mit...“ mit Lena Meyer-Landrut...

Apropos: War die eigentlich wirklich so schlimm, wie sie in der Sendung rüberkam?

Casper: An diesem Abend: ja. Ich habe sie aber später noch mal getroffen, und da hat sie sich bei mir entschuldigt. Ich glaube, die hatte einfach einen schlechten Tag. Aber das war die beste Promo, die ich je hatte. Auf Facebook hat das wirklich jeder geteilt.

Die deutsche Rap-Szene ist zur Zeit so offen und vielfältig wie selten, da tummeln sich die Cros neben den Haftis und die Ekos neben den Kollegahs. Als Vorbereiter dieser Offenheit werden immer zwei Namen genannt: Marteria und Casper. Fühlen Sie sich geehrt oder ist das befremdlich?

Casper: In der Juice stand Anfang des Jahres, mein letztes Album hätte bereits Klassiker- und Legenden-Status. Als ich das gelesen habe, habe ich alles gleichzeitig empfunden: Unfassbare Freude, totalen Stolz, Angst, Verunsicherung. Das war ein krasser Moment.

Also sehen Sie sich als Mit-Initiator dieser Offenheit?

Casper: Ja, aber die Drecksarbeit hat Marteria gemacht. Der kam plötzlich mit seinem unfassbaren „Zum Glück in die Zukunft“-Album aus dem Nichts und hat auf einmal in Clubs vor 2000 Leuten gespielt. Das war für mich eine super Ausgangsposition. Marteria hat den Fuß in die Tür bekommen, ich habe sie dann aufgemacht und Cro ist einfach durchgerannt. So könnte man das beschreiben.

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Da ist was dran.

Casper: Ich finde das aber immer noch total unwirklich. Das würde zudem bedeuten, dass wir für die junge Generation heute so etwas sind wie die Beginner und Dynamite Deluxe damals für uns. Schon krass irgendwie. Aber auch geil.

Meinen Sie, die Kids von heute nehmen Sie ähnlich wahr wie Sie Beginner und Dynamite Deluxe damals?

Casper: Ja und nein. Ich glaube, viele Kids sind heute schnell überfordert. Die wollen auf einer CD das Bild des Künstlers sehen, der auf der Platte zu hören ist. Dann wollen die ihre obligatorischen 26 Tracks, und die sollen dann auch so typische Titel tragen wie „Der König ist zurück“, „Saufen auf Mallorca“ und „Durchdrehalarm“ – sodass die auf Anhieb etwas damit anfangen können. Als die mein Cover, meine Videos und meine Tracklist gesehen haben, haben die das erst überhaupt nicht verstanden.

Das liegt vielleicht daran, dass sich viele Kids heute gar nicht mehr so intensiv mit einzelnen Platten beschäftigen. Die haben durch Musik-Streaming-Dienste Zugriff auf eine riesige Musik-Bibliothek und gehen mit den Alben daher vermutlich viel oberflächlicher um.

Casper: Ja, das scheint mir auch so. Ich weiß noch, als ich als Teenie Berichte über Gwar gesehen habe und danach unbedingt deren „RagNaRok“-Album haben musste, weil alle meinten, dass die so krass wären. Ich habe mir deshalb von meiner Mutter direkt das Taschengeld für zwei Monate in Folge auszahlen lassen, weil ich diese Platte unbedingt haben wollte. Als ich sie dann hatte, habe ich gemerkt: Die ist voll scheiße! Aber ich habe sie dann so lange gehört, bis ich sie doch gut fand. Das würde den Kids von heute nicht mehr passieren.

Wie hat sich denn die Außenwirkung von Rap in den letzten zwei Jahren verändert?

Als wir Ende 2011 miteinander gesprochen haben, meinten Sie: „Wenn ich in den letzten fünf Jahren einem Szenefremden erzählt habe, dass ich rappe, wurde meist wild mit den Armen vor meinen Gesicht herumgefuchtelt und ‚Yo, Yo, Yo, Hurensohn!’ geschrien. Das wird es ab 2012 hoffentlich nicht mehr geben.“ Und – gibt es das heute noch?

Casper: Leider ja. Deshalb antworte ich auf die Frage, was ich beruflich mache, mittlerweile meist mit: „Textilhersteller.“ Wenn dann aber doch irgendwann herauskommt, dass ich Rapper bin, kommt statt des „Yo, Yo, Yo, Hurensohn!“ mittlerweile immer häufiger die Frage: „Wie sieht denn deine Maske aus?“

Vor ein paar Monaten war Megaloh neben Leuten wie Kai Pflaume bei „Markus Lanz“ zu Gast und hat am Ende der Sendung a cappella gerappt. Daraufhin hat Kai Pflaume auch diese peinliche „Hang Loose“-Handbewegung gemacht, die uncoole Menschen häufig für cool halten.

Casper: Oh Gott, schrecklich! Ein weiterer Grund dafür, warum ich nie in so eine Talkshow gehen würde.

Würden Sie nicht? Die Einladung wird aber kommen. Ganz sicher.

Casper: Mag sein. Aber ich möchte Casper nicht verpolitisieren oder verwirtschaftlichen. Ich spreche gerne mit Leuten über die krassesten Entwicklungen im Rap oder über Alternative Music in den 90er Jahren, aber für alles andere bin ich nicht wirklich geeignet. Zumal ich auch nicht der Repräsentant einer Kultur sein möchte, von der die Hälfte gar nicht will, dass ich sie repräsentiere.

Wenn Leute wie Sie sich aber nicht auch mal in solche Talkshows setzen, führt das dazu, dass Szenefremde mit HipHop weiterhin nur Sido und Bushido assoziieren.

Casper: Kann schon sein. Aber ich würde mich in solchen Sendungen einfach nicht wohl fühlen. Ich auf der „Wetten, dass...?!“-Couch: Das wäre die Hölle.

Im Song „Alles verboten“ mit Marteria haben Sie damals gerappt: „Das Allerschlimmste neben Emo-Kids und Indie-Beats/immer noch die Möchtegern-Rapper-Deppen und Skinny Jeans.“ Mittlerweile ist das alles gang und gäbe.

Casper: Ja, stimmt. Als ich damals angefangen habe, Skinny Jeans zu tragen, war ich für viele Leute der schwulste Über-Homo, weil im Hip­Hop damals alle nur XXXXL-Shirts getragen haben. Zwei Jahre später hatten alle welche an. Mit dem Samplen von Indie-Bands war es genauso.

Seine Idee auf das Handy zu verzichten, wusste Caspers Management ihm schnell auszureden. Foto: Dirk Bauer / WAZ FotoPool
Seine Idee auf das Handy zu verzichten, wusste Caspers Management ihm schnell auszureden. Foto: Dirk Bauer / WAZ FotoPool

Letztlich ist das aber doch eine Bestätigung dafür, dass auf das Gerede der Leute nicht viel zu geben ist.

Casper: Ja, man sollte drüber lachen können. Trotzdem nervt es, wenn man erst mal ständig gegen irgendwelche Hasswellen anrennen muss. Wie sich ein Kanye West wohl fühlt? Der muss sich ja ständig so ein Gehate anhören. Weltweit.

Der ist aber wahrscheinlich in Sphären unterwegs, in denen er das gar nicht mitbekommt.

Casper: Ich habe letztens gelesen, dass Kanye kein Handy hat. Das find ich verrückt. Der hat zwar sicherlich einen Assistenten für so was, aber trotzdem: Wie verrückt ist das denn bitte?! Ich habe dann auch kurz überlegt, ob ich mein Handy wegwerfen soll, aber die Leute von meinem Management meinten sofort: Nein! Damit war das Thema vom Tisch.