Venedig. .

Das Filmfestival von Venedig hat einen Titel, das ihm kein anderes Festival je wird streitig machen können: Es ist das älteste seiner Art. Auf dieses Seniorentum hält man sich in Venedig etwas zugute, weil man glaubt, man habe damit zugleich erfunden, dass man Kino als Kunst betrachten kann.

Heute Abend beginnt nun das 70. Filmfestival von Venedig in einem Jahr, in dem Hollywood mit seinen Blockbustern enttäuscht hat. So wendet sich der Blick besonders aufmerksam auf die Arthouse- und Independent-Filme, die eben keine Publikumsmassen, sondern die Herzen und Köpfe von Jurymitgliedern und Fachleuten erobern müssen.

Gleich vom Eröffnungsfilm, Alfonso Cuaróns Weltall-Abenteuer „Gravity“, erwartet man sich einen Gegenentwurf zu den gefloppten Science-Fiction-Filmen des Sommers. Der Mexikaner Cuarón hat mit „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“ eine der besten Verfilmungen der Serie geliefert. In seinem neuen Werk treten George Clooney und Sandra Bullock als Astronauten auf, die nach einem Unfall außerhalb ihrer Raumstation überleben müssen. In 3D gedreht, verspricht der Film visuelles Spektakel und anspruchsvolles Drama zu verbinden.

Unter den 20 Filmen, die bis zum 7. September um den Goldenen Löwen konkurrieren, finden sich eine ganze Reihe von Hoffnungsträgern der Kunstform Kino. Ältere Meister des europäischen Kinos wie die Briten Stephen Frears und Terry Gilliam etwa. Frears zeigt „Philomena“, in dem Judi Dench eine Frau spielt, die nach dem einst zur Adoption freigegebenen Sohn forscht. In Terry Gilliams „The Zero Theorem“ verkörpert Christoph Waltz einen Computerhacker auf Sinnsuche. Vertreten sind aber auch die aufsteigenden Stars des US-Independentkinos wie David Gordon Green, Kelly Reichhardt und James Franco. Alle drei erzählen von den dunklen Seiten Amerikas. In Greens „Joe“ muss sich Nicholas Cage als Exhäftling gegenüber einem 15-Jährigen bewähren. Reichhardt schildert in „Night Moves“ eine Gruppe radikaler Ökoaktivisten, die einen Anschlag planen. Der Schauspieler James Franco, der zunehmend als Regisseur Furore macht, hat mit „Child of God“ eine Erzählung von Cormac McCarthy („No Country For Old Men“) verfilmt.

Dass in Venedig dieses Jahr der Glamour von Stars auf dem Roten Teppich etwas hinter dem Ernst von Kino als Kunst zurückstehen muss, davon zeugt auch die Tatsache, dass es erstmals gleich zwei Dokumentationen im Wettbewerb gibt. Der amerikanische Dokumentarist Errol Morris zeigt „The Unknown Known“, in dem er den ehemaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld nach seiner Karriere befragt. Der Italiener Gianfranco Rosi präsentiert in „Sacro GRA“ Beobachtungen aus der Peripherie Roms.

Mit Philip Gröning und seinem Kleinfamiliendrama „Die Frau des Polizisten“ ist auch ein deutscher Regisseur im Wettbewerb vertreten. Gröning hat vor einigen Jahren mit seiner Mönchs-Dokumentation „Die große Stille“ bereits viel Lob sammeln können. Wie überhaupt der deutsche Film-- anders als noch in Cannes – in Venedig eine gute Figur zu machen verspricht: Außerhalb des Wettbewerbs präsentiert Edgar Reitz sein 4-Stunden Epos „Die andere Heimat - Chronik einer Sehnsucht“, in dem er seine legendäre „Heimat“-Serie um eine Erzählung über das Leben und die Leute im Hunsrück des 19. Jahrhunderts ergänzt.