Essen. Bislang sorgte Gloria Estefan eher für Furore, wenn’s ordentlich köchelte: Pop, Salsa und so weiter. Nun gibt’s eine Jazz-CD der Diva aus Havanna. Vielleicht ein bisschen zu viel Zuckerguss, aber dafür mit ausgesprochen interessanten Arrangements – und die Estefan kann so etwas sogar singen!

In mehr als zwei Jahrzehnten im Rampenlicht hat Gloria Estefan schon viele Facetten ihrer sängerischen Möglichkeiten ausgelotet. Sei es als Frontfrau der eher leichtgewichtigen und leichtbekleideten, aber ausgesprochen clever agierenden „Miami Sound Machine“ (wir erinnern uns: „Dr. Beat“, „Conga“ und Co.), sei es später als Mentorin der kubanischen und brasilianischen Musik. Nun, mit fast 56, gibt sie Miss Mondän und blättert, im langen Roten posierend, im großen amerikanischen Songbook. Wer Estefans Gastspiele als Duettpartnerin von Sinatra und Bennett zu schätzen wusste, wird auch an „The Standards“ (Sony Classical, erscheint am 6. September) seine Freude haben.

Wobei die CD zur Unzeit erscheint. Denn es ist eher die ideale Begleitmusik, um bei einem Glas Rotwein draußen in den herbstlichen Nieselregen zu schauen. Solche Arrangements säuseln sonst durch vorweihnachtliche Hollywood-Romanzen, wobei der Film in diesem Fall ausschließlich aus Kussszenen zu bestehen scheint. Also: deutlich mehr Schwelgen als Schwofen. Ein bisschen viel Zucker vielleicht, außer beim rassig köchelnden „You Made Me Love You“.

Diese Kehle kann das singen!

Aber der Arrangeur des Orchesters, das Estefan den Rücken stärkt, wusste genau, was er tat: Von „Good Morning Heartache“ über „What A Difference A day Makes“ bis zu „What A Wonderful World“ – diese Klassiker sind in solchen Arrangements was für die Freunde gehobener Harmonielehre­. Manchmal klingt das fast nach Debussy. Sehr geschmackvoll.

Und Gloria? Schlägt sich wacker, setzt feine Pausen, geht geschmeidig in Höhe, wenngleich ein bisschen heftig tremolierend. Diese Kehle kann das singen! Andere Starstimmen dieses Kalibers – man denke in der jüngeren Vergangenheit nur an die Versuche von Rod Stewart oder Glenn Frey – sind mit derlei Projekten gründlich baden gegangen.