Detroit.. In Detroit ist ein berühmtes Museum Amerikas vom Ausverkauf bedroht. Sanierer haben Kunstwerke im Wert von fast drei Milliarden Dollar im Blick
Wer an Rodins „Denker“ vorbei durch den Haupteingang in das Heiligste eintritt, fühlt sich in Ostblock-Kunsthallen der 70er Jahre zurückgebeamt. Muskulöse Männer-Arme schrauben und hämmern auf deckenhohen Wandmalereien an Metallplatten, die Gesichter ernst und stumm auf die Werktätigenbank gerichtet. Der Rest sind planwirtschaftlich organisierte Fließbänder und imposante Maschinen, die nie enden wollende Produktion im Kapitalismus.
Seit über 80 Jahren ziert dieses weltweit einzigartige Stück sozialrealistischer Agit-Prop-Kunst von Diego Rivera das kulturelle Kleinod der einst blühenden Autostadt Detroit. Sein Zuhause zählt zu den fünf wichtigsten Museen in Amerika. Vom Keller bis zum Dach gehört es der Stadt und ihren Bürgern. Wie lange man Riveras „The Industry of Detroit“ und vieles andere mehr hier noch sehen kann, steht allerdings in den Sternen.
20 Milliarden Schulden drücken
Seit Detroit mit rund 20 Milliarden Dollar hoffnungslos in der Kreide steht und zwangsweise in das historisch erste richterlich geführte Bankrott-Verfahren einer US-Metropole starten musste, lässt die Hemmung nach, das wertvollste städtische Tafelsilber unangetastet zu lassen. Hunderte erboste Gläubiger sitzen dem von der Regierung des Bundesstaates Michigan eingesetzten Insolvenzverwalter Kevin Orr im Nacken. Dass sie, wenn überhaupt, zehn Cent für jeden investierten Dollar bekommen sollen, während im 1885 gegründeten „D.I.A“ schwindelerregend teure Meisterwerke von Tintoretto, Velásquez, Rembrandt, van Gogh, Caravaggio, Warhol oder Anselm Kiefer im kommunalen Eigentum hängen, sorgt für Verspannungen.
Offiziell hat Michigans Justizminister Ben Schuette die knapp 65000 Ausstellungsstücke umfassende Sammlung für unverkäuflich erklärt und das hohe Lied auf die treuhänderische Funktion gesungen, die Direktor Graham Beal und seine Mannschaft für die Bürger Detroits wahrnehmen. Trotzdem spüren Museumsdirektoren landesweit Magendrücken ob der Frontstellung, die sich abzeichnet: Kunst oder Kohle.
Seit wenigen Tagen ist das New Yorker Auktionshaus Christie‘s unter Vertrag genommen, um den Wert des Bestandes zu taxieren, zu dem der erste van Gogh (Selbstporträt) und der erste Matisse („Das Fenster“) gehören, die sich amerikanische Museen an die Wände hängen konnten. Weil sich in Kennerkreisen hartnäckig die Schätzung hält, wonach das von Mäzenen zusammengespendete Inventar, aus dem Breughels „Hochzeitstanz“ herausragt, bis zu 3000 Millionen Dollar wert ist, steht die Standfestigkeit der örtlichen Politik und der in der Hauptstadt Lansing auf dem Prüfstand. In Internet-Foren der Tageszeitung „Detroit News“ wird bereits kontrovers diskutiert: „Sollen wir Zehntausenden Stadtbediensteten die Pensionen und die Krankenversicherung kürzen. Oder ist es vertretbar, einzelne Kunstwerke oder gar alle zu Geld zu machen und so den Schuldenabbau voranzutreiben?“
Für Jeff Miller aus dem angrenzenden Oakland County ist der Versuch unsittlich, die Kunst gegen das so genannte Gemeinwohl auszuspielen. „Das hier ist die letzte Bastion von Kultur in dieser Stadt“, sagte der Rentner vor der Vitrine mit dem seltenen Meißener Porzellan , „sie zu verlieren, wäre ein Verbrechen“. Museums-Mitarbeiterin Marcil sekundiert: „Wir sind der kulturelle Anker in einem städtischen Umfeld, das immer trostloser wird.“ Wohl wahr. Bereits einen Straßenzug neben dem Museum gähnt Niemandsland mit ausgebrannten Häusern und Müllhaufen auf der Straße.
„Wir sind der kulturelle Anker in einem trostlosen Umfeld.“
Das Bild vom „kulturellen Anker“ führt auch der Gouverneur von Michigan, Rick Snyder, im Mund. Allein, eine Bestandsgarantie für das Museum will der Republikaner nicht geben. Der Zwang zum Verkauf könne noch kommen, sagt ein Detroiter Anwalt. „Bundesrecht bricht Landesrecht.“ Das Parlament hat sich darum bisher geweigert, die Unverkäuflichkeit der Kunstwerke per Gesetz festzuschreiben.
Wobei Diego Riveras beeindruckende Arbeitsprobe nicht nur deshalb vom drohenden Ausverkauf ausscheide, weil man mit den Fresken ganze Wände versetzen müsste. „Das Werk“, sagt Pamela Marcil, „ist einfach unbezahlbar.“