Essen. Die Spielzeit an unseren Bühnen ist zu Ende. Unsere Kulturredaktion zieht Bilanz, wo die Theater der Region zwischen Düsseldorf und Dortmund aktuell stehen, ob mit oder ohne Musik. Es gibt leider nicht nur Grund zum Applaus.

Der Abschied des autokratischen Soltesz aus Essen, kreative Unruhe in Dortmund, Not und Tugend in Moers: So verlief die diesjährige Spielzeit auf den Bühnen der Region.

Angeschlagen

Nicht erst durch die unglückliche Figur, die Christoph Meyer im „Tannhäuser“-Eklat gemacht hat, scheint der Rheinopern-Intendant angeschlagen. Die gefährdete Opernehe mit Duisburg, dazu ein längst nicht mehr unanfechtbares musikalisches Niveau machen seinem Haus zu schaffen. Kaum zu glauben, dass Meyer mal gerufen wurde, um dem Essener Aalto zu zeigen, wer in NRW Herr im Opernhaus ist. Immerhin: Martin Schläpfers Ballett lässt das Haus in der ersten Liga auftrumpfen.

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Gefährdetes Haus

Es ist ein Jammer: Selbst erstklassige Inszenierungen wie die „Nozze di Figaro“ in Dortmunds Oper können das Haus kaum füllen. Die Opernkrise, die schon Jahre währt und eine traurig schwache Auslastungen nach sich zieht, dauert an. Überraschungserfolge wie „Anna Nicole“ (die Oper zum Busen-Starlet) stehen neben guten bis soliden Arbeiten, für die sich dramatisch wenig Publikum findet. Auch unter Jens-Daniel Herzogs Intendanz bleibt das traditionsreiche Haus gefährdet. Ist es Mut oder Trotz, dass er im Wagner-Jahr einem opernunerfahrenen Regisseur wie Dortmunds Schauspielchef Voges den „Tannhäuser“ anvertraut?

Das Ende als Anfang

Die Ära Soltesz ist zu Ende. Künftig teilen sich an Essens Opernhaus wieder Intendant und Generalmusikdirektor die Macht. Soltesz’ Zeit galt mitunter als autokratisch, aber glanzvoll und äußerst erfolgreich. Die Zuschauer hatte der kantige Maestro immer auf seiner Seite. Hinter den Kulissen hatte es dagegen zuletzt mächtig geknirscht, auch die Politik tat sich schwer, Soltesz am Ende dankbar zu sein. Blicken wir nach vorn, bleiben allein Erwartungen, die dem Aalto-Theater Kontinuität wünschen, aber Innovationen nicht ausblenden. Hein Mulders und Tomáš Netopil treten kein leichtes Erbe an. Und doch sollte auch ihrem Anfang ein Zauber innewohnen.

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Vom Publikum getragen

Seit 2008 ist Michael Schulz Generalintendant des Musiktheaters im Revier. Auch unter ihm hat das Publikum, das weit über Gelsenkirchen hinaus reicht, seine legendäre Treue zum Haus und seinen Sängern nicht verloren. Das Händchen für ein geschlossenes Ensemble, wie es das Haus in seinen besten Zeiten vorweisen konnte, vermisst mancher. Dafür kommen auf wenige Regie-Flops (zuletzt Rossinis „Barbier“) viele ehrenwerte Arbeiten. Hervorzuheben ist der Draht zu Jugendlichen, von Kammeropernproduktionen bis zu Ballettprojekten („Move!“). Rote Karte für die Theaterkasse: Da sitzen nicht nur Sonnenscheine. Vorsicht: Auch hier gibt’s für den ersten Eindruck keine zweite Chance.

Fehlt Fritschs Ansporn?

Natürlich hängt der Erfolg einer Spielzeit nicht an einem Mann. Dennoch meint man gespürt zu haben, dass sich das Fehlen einer Inszenierung von Herbert Fritsch auf die Saison in Oberhausen ausgewirkt hat. Seine bizarren Deutungen waren der Grundstock, an dem sich andere gerne emporgerankt haben. Dieser Ansporn hat gefehlt, in Peter Carps fünftem Jahr als Intendant wirkte das Programm eher grau. „Cabaret“ war eine Ausnahme, auch Dario Fos „Bezahlt wird nicht“. Die Kinderstücke erstaunen weiter durch hohes Niveau.

Traumhaft eingespielt

Man kann nur staunen über die Leistungskraft von Kay Voges und dem Ensemble, die das Dortmunder Theater seit drei Jahren in kreative Unruhe versetzen. Hier ist fast alles möglich: ein geplantes Stück wird plötzlich zum Film, „Kabale und Liebe“ fast zu einem Gegenwartsstück, „Virginia Woolf“ zu einer aufregenden Hautnah-Erfahrung. Und an einem viel gespielten Werk wie „Das Fest“ entdeckt man mit Hilfe der Videotechnik völlig neue Facetten. Das bewundernswerte Ensemble ist inzwischen derart traumhaft aufein­ander eingespielt, dass man Besseres in der Region derzeit wohl kaum findet.

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Solide Kunst, wenig gewagt

Neben den fröhlichen Piraten in Dortmund will einem das Schauspielhaus Bochum unter Anselm Weber inzwischen wie ein Hort der Solidität vorkommen. Was auch heißt, dass positive Überraschungen die Ausnahme geblieben sind. Immerhin schwangen sich Roger Vontobel und David Bösch gelegentlich zu Höhenflügen auf, aber die waren schon Webers Geheimwaffe in seiner Essener Zeit. Sich nur an zwei Inszenierungen („König Richard der Dritte“, „Das Mädchen aus der Streichholzfabrik“) mit Freude erinnern zu können, ist wenig für ein Haus, das einst nationale Strahlkraft besaß.

Drama auch hinter der Bühne

Dramen gab’s reichlich im Düsseldorfer Schauspielhaus. Wobei es eher die äußeren Umstände sind, die in Erinnerung bleiben. Im Herbst legte Staffan Valdemar Holm die Intendanz des Theater-Schlachtschiffs wegen Burnout nieder, der Kaufmännische Direktor Manfred Weber übernahm. Eine Kommission, die eine neue Leitung suchen sollte, ging dank Indiskretionen auseinander – und die Republik grinste einmal mehr über Düssel-Dorf am Rhein. Jetzt bleibt Weber Intendant bis 2015. Künstlerisch war’s bis auf einige Ausnahmen („Peer Gynt“, „Der zerbrochne Krug“) mau.

„Schöne neue Welt“ im Grillo

Das Motto der Spielzeit in Essen war zutreffend für die Lage. Intendant Christian Tombeil hat die Anlaufschwierigkeiten hinter sich gelassen und macht Theater, das in der Stadt ankommt. Volker Löschs „Rote Erde“-Bearbeitung schaffte es in die Bestenauswahl der NRW-Theater. Daneben zeigt das Repertoire eine mutige Spanne vom kraftvoll eingedampften Doppel- „Faust“ und bis zum Bürgerprojekt mit Prostituierten. Selbst Sperriges wie die Bühnenadaption von Anthony Burgess’ „Clockwork Orange“ wird hier vor ausverkauftem Haus gespielt. In Essen ist die Theaterwelt derzeit in Ordnung.

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Beim Moerser Schlosstheater muss man schon froh sein, dass es noch besteht – wie gewohnt macht die Zwerg-Bühne das Maximum aus ihren Möglichkeiten, herrlich verrückte Stücke wie „Das Mädchen, das die Streichhölzer zu sehr liebte“ oder Ibsens „Volksfeind“ im alten Rathaus wenden die Nöte des Theaters zu Tugenden. Dass Intendant Greb auf dem Transfermarkt noch unentdeckt blieb, ist ein Glück.

Selten hingen Wohl und Wehe einer Bühne so sehr an einem Intendanten wie im Falle von Roberto Ciulli (79) und dem Theater an der Ruhr. Auf dem Spielplan stehen etliche Inszenierungen mit vielen Jahresringen, und wenn Ciulli nicht ab und zu seinen unverwechselbaren Regie-Stil ausspielen würde, wären vor allem die Gastspiele arabischer Bühnen und die Botschafterfunktion der Mülheimer in aller Welt.

Bilanz zogen: Jens Dirksen, Lars von der Gönna, Arnold Hohmann, Petra Kuiper und Martina Schürmann