Hagen. .

Der eigene Ehemann hat sie ausspioniert und verraten: Ellen Thiemann wollte 1972 aus der DDR fliehen und landete im berüchtigten Zuchthaus Hoheneck.

Meine erste Begegnung mit Ellen Thiemann liegt 29 Jahre zurück. Im Sommer 1984 lernte ich sie kennen; die zufällige Namensgleichheit hatte mich auf die Autorin aufmerksam gemacht. Damals hatte Ellen Thiemann gerade ihr Buch „Stell dich mit den Schergen gut“ geschrieben , die Aufarbeitung traumatischer Erlebnisse rund um ihren zweieinhalbjährigen Aufenthalt im DDR-Frauengefängnis.

Folter nach versuchter Republikflucht

Ellen Thiemann war 1972 wegen geplanter Republikflucht verurteilt worden; sie nahm die „Schuld“ allein auf sich, während ihr Mann, ein „verdienter“ DDR-Sportler und Journalist, ungeschoren davon kam.

Von den Machenschaften ihres Mannes erfuhr die Verratene erst nach dem Fall der Mauer - und darüber schrieb sie erneut ein Buch: „Der Feind an meiner Seite“. Anhand von Stasi-Unterlagen und den persönlichen Erinnerungen schilderte sie eine Familientragödie, beispielhaft für das menschenverachtende DDR-System. „Sicher ist da eine ganze Ladung Hass in meinem Buch. Und ich muss sagen, dass ich die Leute, die mich so im Gefängnis gequält haben, dass ich fast gestorben wäre, bis an mein Lebensende hassen werde. Aber ich hasse nur ganz bestimmte Menschen. Dazu gehört noch nicht einmal mein Mann, der mich auf ganz schäbige Weise hat sitzen lassen. Aber er ist es gar nicht wert, dass ich ihn hasse, ich verachte ihn nur“, erklärte Ellen Thiemann im Gespräch mit unserer Zeitung.

Die tapfere, unbeugsame Frau hat nicht nur in Hoheneck zu Unrecht büßen müssen (sie ist dort auch gefoltert worden). Bis in die späten 90er Jahre wurde sie telefonisch mit anonymen Morddrohungen immer wieder auf das Schlimmste belästigt. Ihre Wohnung in Köln wurde verwüstet und ihre politische Rechtschaffenheit von alten Seilschaften der ehemaligen DDR gezielt in Frage gestellt. Spürbar angewidert zitiert Ellen Thiemann im Nachwort zum zweiten Buch den Fernsehmoderator Kai Pflaume, der sich einmal zu der öffentlichen Aussage verstieg: „Das Leben in der DDR war gewissermaßen freier, weil es nicht so viele Zwänge gab.“

Die Spurensuche geht weiter

Jetzt hat die kämpferische Autorin erneut ihre Vergangenheit aufgearbeitet. „Wo sind die Toten von Hoheneck?“ fragt sie in ihrem dritten Buch und präsentiert weitere Enthüllungen über das DDR-Frauengefängnis. Sie berichtet über Selbstmordversuche und mysteriöse Todesfälle. Sie benennt Zwangsadoptionen und den Missbrauch von Psychopharmaka. Sie weist erneut auf viele Folterformen hin.

Bei ihren jüngsten Recherchen stieß sie im Personalrat der sächsischen Justiz auf Barbara H.. Die heutige Beamtin war eine der übelsten Wächterinnen in Hoheneck. Eine andere Zeitzeugin erinnert sich: „Obermeister H. war gemein und sehr gefürchtet, weil sie immerzu ihre Macht ausspielte.“ In einem Interview 2005 verteidigte sich Barbara H.: „Die Insassinnen mussten schon spüren, dass sie im Gefängnis waren.“

Ellen Thiemann:

Wo sind die Toten von Hoheneck?

Herbig Verlag

272 S., 19,99 Euro